Samstag, 13. Juli 2013

New Slang

New Slang
Ánnamánn Ben




Ánnamánn Ben Verlag 
                        3.Auflage: Juni 2012
                      Zusatz: Drittes Exemplar

    Veröffentlichung im Ánnamánn Ben Verlag
                       Stuttgart, Oktober 2011

  Lizenzausgabe mit freundlicher Genehmigung
     des Ánnamánn Ben Verlages ©, Ingolstadt
                  Die Originalausgabe erschien
            unter dem Titel >Wesentlich sein.<
                       © Ánnamánn Ben 2011
                      Alle Rechte vorbehalten.




Ánnamánn Ben Verlag 
       Mit einem Vorwort von Theresa Pollinger

                    Sehr geehrter Leser,

Herzlichen Dank, dass sie dieses Buch gekauft haben, weil das
                 wird den Ralph sehr freuen.
       Ich habe diesen grandiosen Autor ja schon 1972
  kennengelernt, als er seinen Wehrdienst in Tadschikistan
ableistete. Damals war ich gerade nach einem Kampf mit dem
     mormonischen Seetaubenhaucher an der Westküste
  Tadschikistans angeschwemmt worden. Ralph, der an der
Grenze patrouillierte, zog mich aus dem Wasser und mir eine
     Anemone aus der Luftröhre, päppelte mich auf und
 organisierte mir eine Du Harley. seitdem sind wir Freunde.
  und weil sie jetzt wissen, was für ein Mensch dieses Buch
   geschrieben hat, werden sie nur umso begeisterter sein
                           können.




                                  Theresa Iljitsch Pollinger


Ich wusst lange nicht was ich von diesem Buch halten
soll, es war mir unangenehm und peinlich. Mittlerweile
weiß ich, dass es einfach nur meine Gedanken zu einer
bestimmten Zeit meines Lebens waren und das ist okay so.
Mit 16 fängt das Leben an.
                          
Eins

Ihr kennt das Gefühl zu fallen. Das weiß ich. Dieses
Kribbeln, das andeutet, dass euer Mageninhalt in den
Hals zurückgedrängt wird. Der Körper ist schon viel
weiter gefallen, während der Geist zwei Meter darüber
erst begreift was passiert. Gibt zumindest mehr Zeit zum
Nachdenken bevor es passiert. Man sollte ab sofort nur
noch durch sein Leben fallen, aber wahrscheinlich tun
wir das schon und ich laber nur wieder Schmarrn. Wenn
man fällt, denkt man aber auf jeden Fall schneller, aber
nur währenddessen, klar? Hinterher kommt es einem vor
als ob alles nur eine Sekunde gedauert hat, aber in
Wirklichkeit sind wir eine vollendete Ewigkeit gefallen.
Viel Zeit. Und wer hat die heute schon, nich? Zum
Nachdenken. An was man wohl als erstes denkt. Denken
ist eh schon so ne Sache. Denken wir in Wörtern? In
Gefühlen oder Gerüchen? Ich kannte da einmal dieses
Mädchen, das in Farben dachte.
Sie hat zu mir gesagt, du, du bist orange.
Warum bin ich orange, hab ich sie gefragt.
Naja, sagte es, das kann ich schlecht erklären. Es ist eben
die erste Farbe die mir einfällt, wenn ich an dich denke.
Wie ein weiches Aufleuchten in der Dunkelheit.
Ein Bett zum Beispiel ist blau und der Herbst ist braun,
versteht sich von selbst. Manche Dinge sind aber
schwieriger. Winter ist weiß, aber auch blau, also
hellblau und manchmal auch rosa. Schau nich so blöd, ist
echt so. Mit gelben Menschen kann man gut reden, sie

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hören einem auf eine ehrliche Weise zu. Du weißt schon,
muss nicht mal heißen, dass sie am Inhalt interessiert
sind, eher an mir als Person. An meinen Charakterzügen,
vor allem an denen, die vielleicht nicht so spannend sind,
mich aber doch ausmachen. Grüne Menschen hingegen
sind langweilig. Ich weiß, würde man gar nicht vermuten,
oder? Aber is wirklich so, die sind so ohne Probleme, als
ob sie ihr Leben auf die Reihe kriegen würden oder so.
Heilige, die ständig lächeln. Was macht so jemanden
noch attraktiv?
Ich hab damals bloß gesagt, dass ich weiß, dass die ihr
Leben auch nicht mehr auf die Reihe kriegen als andere
Farben, aber sie hat bloß gelächelt.
Ob sie wohl in Farben denkt? Zutrauen würd ich`s ihr.
Es gibt für jede Stimmung die passende Farbe und für
jede Farbe gibt es Übergänge.
Was wohl Seifenblasen für ne Farbe haben. Kommt`s
darauf an wie das Licht einfällt oder sind die einfach
immer regenbogenfarben? Als ich klein war, mocht ich
Seifenblasen voll. Ne Stunde konnt ich nichts anderes
machen als welche zu pusten. Besonders ärgerlich war's,
wenn eine in mein Auge geflogen is oder so.
Welche Momente haben die Farbe schwarz? Ganz klar,
die in denen man sich allein fühlt. Man liegt da und alles
ist Kacke, aber auch wirklich alles, alles war ne Lüge und
so, oder irgendwas steht an und es is voll wichtig, aber
man weiß, es wird n schlechtes Ende nehmen. Obwohl
das eher son dunkelblau is, für mich zumindest. In
dunklen Momenten strahlt die Vergangenheit immer in

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hellem Licht, klar, auch wenn wir wissen, dass es ne
Lüge ist, zeigt`s ja trotzdem, was uns wirklich wichtig is.
Trennt Wesentliches von, ja Unwesentlichem halt.
Wesentliches ­ man kann es niemals sprechen, nicht in
Wörtern, manchmal spürt man es, in besonderen
Momenten ­ ein Nichts, das Alles sagt.
Viel schlimmer als die dunklen Momente sind die
            . Ein Nichts, das auch Nichts sagt. Das sind die
Momente, in denen man kein bisschen weiß. In denen
man keine Ahnung hat, warum man so oder so ist, man
weiß nich was mit einem los ist. Woran man glauben
soll, was richtig ist, was richtig war, oder war vielleicht
doch alles falsch.
Ne, viel schlimmer, wenn alles farblos ist, dann war alles
falsch und wird immer falsch sein, weil nichts Sinn
macht und alles in Bedeutungslosigkeit zu versinken
scheint. Komische Momente oder? Aber macht euch
keine Sorgen, wenn ihr mal irgendwo runterfallt, wisst
ihr, dass auch diese Momente okay sind. Okay. Alles ist
okay, mehr oder weniger, glaubt mir. Es gibt auch die
andere Seite. Es brauch gar nicht so viel, wichtig ist es
nur anzufangen. Ich weiß, leicht gesagt, aber mal ehrlich,
ihr kennt auch die andere Art Momente, wo es tatsächlich
leicht ist. Und n bisschen Anstrengung und so, kann man
ja wohl vom Leben erwarten, oder ne, das Leben von
euch erwarten. Wenn man sich nur manchmal zamreißt,
kriegt alles schon ne ganz andere Richtung und Dinge
kommen ins Rollen, die zuerst voll entfernt waren. Dinge
sind schon da.

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Das Meiste was ihr wollt ist schon da. Jeder muss mal
verreisen finde ich, damit er erkennt, dass alles schon
dort ist, wo es sein soll. Cars on the highway, planes in
the air, everyone else is going somewhere, but I'm going
nowhere, getting there too, I might as well just sink down
with you.
Die Luft is voll kühl, könnt fast schon Schnee fallen, aber
soweit is es noch nich. Voll viele Lichter. Nachts is es
fast noch schöner als tagsüber. Naja, es sei denn, man
verschläft den ganzen Tag, dann kommt`s einem
irgendwie total sinnlos vor.
Lichter sind wichtig. Nicht nur in der Dunkelheit.
Manche Leute leuchten.

In dem einen Film, da taucht dieser Typ in dem
BurgerKing auf und sagt ihm, er sei eine gute Fee und er
kann ihm seine Probleme verzähln. Aus ner Laune heraus
beginnt die Hauptperson alles auszuplaudern. Der Fee-
Typ sagt ihm danach, dass man am Ende seines Lebens
an all die Menschen zurückdenkt, die man geliebt hat. In
etwa zwei Sekunden knall ich auf die Steine, die unter
der Brücke liegen und er hat recht - daran denkt man.
Also, man denkt an so unglaublich Vieles. Menschen,
Ereignisse, Dinge eben. Die meisten traurigen Sachen
scheinen nich mal traurig, wisst ihr, man blickt anders
drauf.
Ich beispielsweise denke jetzt an Mandarinen, weil ich
Mandarinen schon immer voll mochte, und ich denke an
das letzte Buch, das ich gelesen hab, und ich denke

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daran, dass ich tatsächlich mal bis eintausendundeins
gezählt hab, ehrlich, nur damit die Zeit vergeht.
Ich mag es nich, selber unpünktlich zu sein und bin
immer viel viel früher da. Meistens plan ich immer so ne
Viertelstunde ein, aber dann bin ich doch schneller und
steh noch früher dort, da muss man sich halt was
einfallen lassen. Denken hilft.
Vorwiegend an schöne Dinge, oder an nicht so schöne,
oder daran, dass Käse gut schmeckt und das Haus auf der
gegenüberliegenden Seite ein Gesicht hat, weil Dinge
voll oft ein Gesicht haben, mit zwei Augen, manchmal
ner Nase und nem Mund.
Ich denke an Eistee und Auberginensalat, gute Dinge in
der Welt und an schlimme Dinge in der Welt und an
Sommerbrisen und Sommer auf Wiesen. An alte Fotos.
Von Menschen, die ich geliebt hab, in der Welt bevor ich
gefallen bin. Es is total lustig, sich selber zu sehen auf
alten Fotos, vor allem wenn man's einfach nich schafft,
auch nur irgendwie annehmbar drauf auszuschaun.
Manchmal hat mich das vielleicht gestört, aber ich hätte
gerne noch viel mehr Bilder von mir und meinen
Freunden drauf, vor allem als wir noch klein waren,
darüber kann man total lachen.
Wenn das hier ein Film wäre, müsste es mit irgend ner
Musik anfangen, irgend n Song. Ich glaub ,,The Ballad of
Sir Frankie Crisp" von George Harrison passt ganz gut.
Es sei denn, es is n Arthaus Film auf Arte, dann würde er
mit ,,Si la photo e bonné" anfangen, hört`s euch mal an.



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Is von so ner französischen Sängerin, Barbara, aber die
Stimmung passt eigentlich auch ganz gut.
Das Bild würde so reingeblendet werden, man sieht die
Namen von Leuten, die einem total egal sind, aber
irgendwie an dem Film mitgewirkt haben und so und
würde so nen Sternenhimmel in ner kalten Nacht sehn.
Dann sieht man meinen Kopf, wie ich gelassen geradeaus
schau, dann wird weiter rüber geblendet mit der Kamera
und man sieht, dass ich auf dem Geländer einer Brücke
sitze. Was ihr nicht wisst, ist, dass ich da eigentlich
ziemlich oft sitze, aber das müsste dann in dem Film
herausgearbeitet werden.
Wenn das also n Film wär, würd ich bestimmt auch
rauchend da sitzen, weil`s cooler und wissender
ausschaut und zudem unterstreicht, dass es n kühler
Abend ist, wenn man sieht wie ich den Rauch ausatme.
Außerdem bin ich in dem richtigen Alter um zu rauchen,
obwohl in Wahrheit den Moment kaputt machen würde,
auf meiner Brücke zu sitzen und die geile Nachtluft
vollzuqualmen.
Dann würde der erste Schnitt kommen, man sieht mich
jetzt ausm Profil, längs der Brücke und wie meine Beine
über der Tiefe baumeln. Auf dem schwarzen Wasser
spiegelt sich der Mond.
Ich nehm einen tiefen Zug dreckigen Qualm, blase ihn
gelassen wieder aus, runzle die Stirn, blicke einen
Moment lang nach oben, schnipse die Zigarette weg,
schau nach links, dann wieder nach oben, dann gerade
aus und nach einem weiteren Momente springe ich. Man

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hört keinen Aufschlagen im Wasser, aber irgendwo hört
man Heuschrecken.
Zum Glück bin ich aber nicht so cool, hatte ein eher
peinliches Leben im Vergleich dazu, aber ein durchaus
lustiges. Kann mich so gesehn also nich beklagen. In
Wahrheit sitz ich also da oben und springe irgendwann,
weil ich weiß, dass weiter unten ein harter Aufschlag auf
mich wartet.




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                          Zwei

Mann, wenn man fällt, denkt man an das Lächeln von
vielen, vielen großartigen Menschen. Leute, die einem
was bedeutet haben, oder die eben einfach ein markantes
Lächeln auszeichnet.
Da war dieses Mädchen aus dem Zug. Wir sind gerade
von einem Konzert heimgefahren. Keine Ahnung warum
mir das gerade jetzt einfällt. Vielleicht, weil ich
möglicherweise ein wunderbares Leben mit ihr gehabt
hätte, wenn ich mich zu ihr gesetzt hätte und so was
gesagt hätte wie, ,,hey wär es nicht cool wenn ich mich
nur zu dir gesetzt hab, weil du genau so lächelst und ich
dir das genau so gesagt hätte, wie ich es gerade tue und
wir hätten später geheiratet und könnten unseren
Enkelkindern erzählen wie überaus glücklich der Zufall
war, dass ich genau am heutigen Abend die Eier hab, um
jemanden wie dich so spontan anzusprechen?"
Ich wette, sie hätte mir ein zweites Lächeln geschenkt.
Sie saß mit einer Freundin auf einer Bank, die Andere
hatte so Dreadlocks, was nicht unbedingt schlecht
aussieht, aber Leute mit Dreads sehen irgendwie alle
gleich aus. Nein, sie hatte die Haare mit irgendetwas
zusammengebunden und dieses überaus hübsche,
intelligent wirkende Gesicht, relativ bleich mit schmalen
Lippen. Ich stieg ein, wir lachten grad, weil irgendwer
was Dummes gemacht hat, ich lachte sogar ziemlich laut
und dann hab ich ihr erst kurz in die Augen gesehen und
dann wieder weg. Da hat sie noch nicht gelacht, aber ich

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musste ihr Gesicht sofort nochmal ansehen und sie hat
halt gemerkt, dass ich das son bisschen reflexartig
gemacht hab und dann musste sie lächeln. Wahnsinns
Abend.
Da lag was in der Luft. War vielleicht einer von diesen
Momenten.
Ich glaub Woody Allen hat mal irgendwas gesagt, von
wegen man könne auf lange Sicht nichts richtig machen,
aber im Moment kann man alles schaffen.
Keine Ahnung ob das stimmt, aber ich mochte Momente
schon immer, die haben so ne besondere Stimmung.
Jeder einzelne für sich. Eine Stimmung, wie es der erste
Moment im Herbst hat, an dem es nach Winter riecht.
Man macht das Fenster abends auf, tausende Sterne über
einem und die Stadt ganz nüchtern darunter, atmet einmal
tief ein und weiß es einfach.
So gesehen hat alles Charme. Auch die schlechten Dinge.
Wenn man fällt, weiß man was es mit den schlechten
Dingen auf sich hat und man lächelt selber. Wissend?
Unbekümmert. Unwissend.
Man lächelt so wie man über ein Kind lächelt, das nach
holprigem Lauf hinfällt, oder wie man über den ersten
Liebeskummer seines eigenen Kindes lächeln würde.
Man weiß eben, was danach kommt und was danach
kommt, ist eben gut.
Aber davor, da fällt man und denkt an so unglaublich
Vieles, jedes für sich, wie ein weiches Aufleuchten in der
Dunkelheit.



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Hilfreich für ein schönes Lächeln ist, dass es unerwartet
kommt. Ein Lächeln, das man erwartet, ist einfach nur.
Aber ein Fremder, der einen anlächelt, das kennt ihr doch
auch, man freut sich und lächelt zurück.
Aber auch vertrautes Lächeln ist angenehm. Mein Opa
lächelt so. Er grinst.
Oder dieses Mädchen aus dem Subway. Ines. Ich ess ja
unglaublich gern im Subway. Anfangs, muss ich
zugeben, nur weil es einfach viel cooler ist, als 13
jähriger nicht zu McDonalds zu gehen, aber dann findet
man seine Mischung und dann schmeckt`s. War
Stammkunde. Ines war auch n bisschen älter als ich, ich
mag ältere Mädels. Bin mal mit ihr da gewesen, und das
erste was Ines gesagt hat war, ,,Das übliche?". Sie hat
sich totgelacht.
Naja, Ines war auf jeden Fall wunder wunderhübsch.
Rotbraunes, kürzeres Haar, so wie man sie in den 60ger
vermutlich getragen hat. Und die hatte auch so was von
einem Lächeln. Immer.
Einmal hab ich sie betrunken angemacht, sie hat immer
die Nachtschicht gehabt und sie is nich drauf
eingegangen, hat mich sehr freundlich abgewimmelt und
egal was ich gesagt hab - immer nur dieses Lächeln.
Weiße Zähne. Am nächsten Tag wollt ich das als
Vorwand benutzen, um nochmal nen Versuch nüchtern
zu starten und mich für mein Verhalten am Vorabend zu
entschuldigen. Aber Ines hat nur gelächelt.
Sie is wieder nich drauf eingegangen, aber wegen ihrem
Lächeln, war man nicht mal enttäuscht.

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Danach hat sie aufgehört im Subway zu arbeiten. Ein
Jahr später sitz ich also da in der Einkaufspassage und
denk einfach so an Ines und was sie wohl macht, und ich
schwör euch ich hab davor ein Jahr lang nicht an sie
gedacht, genau in diesem Moment taucht sie in der
Menge auf, sieht mich und lächelt, obwohl ich mir
ziemlich sicher bin, dass sie mich nicht erkannt hat.
Die Backen lachen mit, sie bilden entwaffnende Falten.
Maleen hat auch so ein Lachen.
Ein Lächeln kann Welten einen. Bei einem ganz
besonderen bleibt die Zeit sogar für mich stehn.
Wozu lächeln Menschen überhaupt?
Ich meine, was wollen sie sagen. So oft denken wir an
was ganz anderes während wir lächeln. Aber manchmal,
manchmal meint man es auch wirklich so.
Immer wenn man etwas ehrlich meint, entsteht etwas
daraus. Man pflanzt was gutes, wisst ihr. Ihr glaubt`s mir
nicht, aber es ist so. Das ist einfach so, das versteht ihr
auch mal wenn ihr fallt, keine Sorge.
Da gab es diesen einen Wintern, meine Eltern hatten die
Pflanzen zu mir hochgestellt, weil`s bei mir wärmer war.
Ich hab natürlich total verpennt die zu gießen, war viel zu
faul und meinetwegen sind die durch ne ziemlich harte
Zeit gegangen. Eine is sogar eingegangen wegen mir.
Die dann zu sehen, täglich, und zu wissen, dass die so
aussehen, weil ich einfach bloß zu faul war hin und
wieder n paar Minuten zu gießen, hat mir voll des
schlechte Gefühl gemacht.



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Hab dann begonnen die Pflanzen gewissenhaft zu gießen,
sogar den Topf, in dem die Pflanze komplett gestorben
war. Mindestens drei Wochen hab ich jeden Tag den
kahlen Topf mit der Leiche gegossen und irgendwann is
tatsächlich ne Pflanze gewachsen.
Hab mich so tierisch gefreut. Ich hatte echt voll des
schlechte Gewissen gehabt, jeden Tag versucht das
ehrlich wett zu machen und ihr Wasser zu geben und
dann wächst da dann wirklich was. Mittlerweile ist die
Pflanze groß, grün und wuchert aber ich gieße weiter und
denk nich mal dran die zu stutzen.
Am geilsten is ja, dass des wie Hanf aussieht, wer weiß
was in dem Wasser drin war. Habs aber noch nich
versucht zu rauchen.
Raucht ihr? Hab bis jetzt bloß mal die ein oder andere
Zigarre geraucht, weil`s einfach cooler aussieht und es
meistens ja auch nen besonderen Anlass gab. Aber
normal Rauchen kann ich irgendwie nicht. Was ihr macht
is eure Sache, nich mein Brot. Mir geht's nur drum, dass
es mir peinlich wär irgendwann meinem Kind erklären zu
müssen, dass ich abkratz nur weil ich mal geraucht hab.
Manchmal hab ich mich aufgeregt wenn andere geraucht
haben, aber was soll's. Aufregen ist schlimmer als
Rauchen. Daran kann man sterben.
Hab mich allgemein bloß bei unwichtigem Zeug
aufgeregt. Wenn der Computer nich so will, wie er soll,
dass kann aber auch echt nerven. I got angry with athletic
ease.
Gewesen.

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Wichtige Dinge lösen sich meistens von selbst und wenn
man sich nich aufregt, sogar noch schneller.
Wart ihr schon mal so richtig wütend? Kann manchmal
ziemlich viel kaputt machen, mh? Man denkt Dinge, die
man nich denken will, die einem leidtun hinterher.
Man macht diese Dinge dann auch noch.
Wisst ihr, was mich auch immer aufgeregt hat?
Light mit ohne Zucker. Kam mir immer sinnlos vor, weil
man ne Cola wegen dem Zucker kauft, aber egal.
Aufregen.
Man kann sich natürlich reinsteigern, ein Thema kann zu
allem werden, an das man gerade denkt.
Meistens sind`s echt die unwichtigen, die am leichtesten
hängen bleiben.
Schön, dass man sich aufregen kann, schlecht, dass man
nicht darum herum kommt.
Umso mehr man aber erlebt, umso mehr geht das zurück.
Man denkt nicht mehr so sehr drüber nach. Manche
behaupten, weil man verbittert wird, aber eigentlich weil
man nur noch drüber lächeln kann und weil uns Dinge
wie ein flüchtiges Lächeln viel mehr Zeit rauben wenn
wir älter werden.
Dinge bekommen dann ihre Bedeutung. Fragt sich nur
woher. Da gab`s dieses Mädel, nein eigentlich waren`s
zwei Mädchen, weil`s Zwillinge waren. Gingen mit mir
in eine Jahrgansstufe, hab sie nie auseinander halten
können.
In der Oberstufe hab ich dann öfter mit ihnen geredet.



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Wegen der einen hab ich sogar begonnen mehr Sport zu
machen. Hab sie in der 8. angraben wollen und ihr
gesagt, ich will ne Green Day CD brennen und dass ich
Tipps brauch, weil sie Green Day voll toll fanden und ich
angeblich nichts wusste über die. Dann hab ich mir auch
gedacht, dass ich schon was hermachen will für sie und
hatte so meinen ersten Imagewandel. Voll niedlich
eigentlich.
Hab nen Ohrwurm von ,,When i come around" fällt mir
grad auf.
Naja also, ich hab öfter mit ihnen geredet gehabt dann.
Also was heißt öfters, n paar Mal, waren aber echt gute
Gespräche.
Beide hatten ein unglaubliches Talent darin, Dinge zu
sehen, in anderen. Hat mir sehr gefallen. Vor allem
unvoreingenommen.
Das gibt's selten, unglaublich unvoreingenommen.
Waren auch recht schlau, viel schlauer als ich.
Hoffentlich haben die beiden n schönes Leben. Auf jeden
Fall hab ich dann n paar Mal öfter mit einer von beiden
gelabert und sie hat mir echt geholfen und so Zeug. Und
ich hab sie echt gern gewonnen, hatte voll Respekt vor
ihr als Person und okay, sie war auch rattenscharf.
Wollte ihr irgendwas sagen, irgendwas tiefsinniges,
etwas mit Sinn, ich wusst nich genau was. Bekam aber
keine wirkliche Gelegenheit dazu, aber dann auf der
Afterparty von unserer Abifeier.




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War übelst angetrunken und sie auch ein wenig. Hab ihr
gesagt, dass ich sie mal wieder sprechen muss.
Irgendwann sind wir vor den Toiletten gelandet.
Sie war echt hübsch. Ich hatte im Vorfeld geplant, dass
mir schon irgendwas Geistreiches einfällt wenn ich dann
vor ihr stehe. Sie dachte, ich will mal wieder über
irgendwas reden, hat sehr wartend geguckt.
Und dann hab ich es gesagt.
Ich hab gesagt, Danke. Danke, dass du so toll bist, immer
eigentlich, wenn man dich gebraucht hat sowieso.
Und irgendwas in ihrem Gesicht veränderte sich.
Nicht mehr wartend, man hat gar nicht gemerkt was
genau anders war, aber ihre Züge wurden weicher,
vielleicht ein leichtes Lächeln, nein eigentlich hat sie
gelächelt und Mann, war das Lächeln schön, denn es war
eines, das sich über meine Worte gefreut hat.
Sie streichelte meinen Arm und sagte ihrerseits danke,
glaube ich.
Ihr Gesicht war echt erfreut, so wie wenn man zum
Beispiel n ganz altes Pärchen beim Hände halten sieht,
genau so ein Lächeln war das. Müsste mehr Menschen
wie sie geben.
Ehrlich, wenn ihr so jemanden trefft, sagt ihm, dass er
toll ist und meint es auch so, die haben`s echt verdient.
Mir ist erst kurz danach aufgefallen, dass ich sie gar nicht
mehr rattenscharf fand, sondern einfach nur noch
extremst hübsch. Wo der Unterschied liegt? Darin, dass
man eine Person nicht flachlegen will sondern einfach in
ihrer Nähe sein möchte.

                            19
So wie bei ihr.
Es sind diese Momente in denen man weiß was zählt.
Wesentliches und so. Wie erklärt man am besten was
wesentlich ist. Macht das richtige Lied an. Schaut in den
Sonnenuntergang. Denkt erfolgreich über Moral nach.
Fass den Himmel an. Macht etwas Gutes. All diese Dinge
sind nicht wesentlich, aber es sind die Momente in denen
man weiß, was mit diesem Wort gemeint ist. Zieht es
durch!
Wenn man fällt und gelassen ist, weiß man was das
Wesentliche ist. Irgendwann im Verlauf eines Lebens
kommt man an den Punkt, wo Worte nicht ausreichen um
Gefühle zu beschreiben.
Dreckige Worte denkt man. Es klingt logisch. Wenn man
aber fällt, dann weiß man ein bisschen mehr. Wenn ihr
mit heißen Wangen und der Verzweiflung und dem
Glaube eines Kreuzzuges, jemandem eure innige Liebe
gesteht, dann scheint es so als würde nichts ausreichen
um das rüber zu bringen, was einen selber zum Platzen
bringt.
Und so wenig die Worte auch sagen können, so sehr
treffen sie aber auch ins Schwarze, denn sie sind randvoll
von Gefühlen und quellen über damit.
So wie eine Umarmung. Es scheint nicht genug Luft zu
geben, die man einatmen könnte wenn man sie umarmt.
Worte können Macht haben und so, versteht sich von
selbst. Wann habt ihr eurer Mum das letzte Mal gesagt,
dass ihr sie liebt? Es muss viel mehr gesagt werden auf



                           20
der Welt, aber in weniger Worten. Vielleicht in mehr
Umarmungen, ich weiß es nicht.
Was ist eure lustigste Erinnerung? Einmal, es war glaub
ich schon nach dem Abi, war ich nochmal in der Schule,
keine Ahnung warum und wir sind durch die Gänge
geschlendert.
Da is unser Mathe Lehrer auf uns zugekommen und
obwohl ich selten in Mathe gegangen bin und er n bissl n
Arsch is, fand ich ihn immer voll toll und dann wollt ich
vor ihm salutieren und hab mir dabei den Daumen nicht
an die Stirn gedrückt sondern voller Schneid mitten ins
Auge.
Der is so weggebrochen, sag ich euch.
Ihr hätt`s auch gefallen, so was war schon immer voll ihr
Humor.
Voll lustig war auch das eine mal auf der Romfahrt. Wir
waren in so ein Zugabteil gedrängt und lagen einfach nur
rum und haben gelabert, als sich mitten in der Diskussion
Marc und Berni zunicken, den Arsch heben und dem am
Boden liegenden Sebi synchron mitten ins Gesicht
schnurzen.
Beide haben gesagt, sie wussten nich wieso der jeweils
andere dasselbe gedacht hatte, war wohl ne göttliche
Eingebung oder so, aber irgendwer da oben hat totalen
Humor.
Wir sind so weggebrochen vor Lachen, das kennt ihr
doch auch, oder? Wenn man so sehr lachen muss, dass
man rot anläuft und sich gar nicht mehr einkriegt und
einem der Bauch weh tut und man rumspringt oder gar

                           21
nicht mehr die Kraft hat um rumzuspringen. So was muss
man auch machen, sonst kriegt man Krebs, ganz klar.
Wegen dummen Dingen lacht man am besten.
Geil war auch das eine mal, nach der Abifeier glaub ich,
wo wir angetrunken durch die Stadt sind und dann hab
ich die Hauptstraße mit so Baustellenhütchen gesperrt
und selbst die Polizei is umgedreht und wir saßen da mit
unserem Bier und haben uns totgelacht.
Hinterher dann mit unsrem Mathelehrer bis um fünf Uhr
früh im Amerl gezecht, das war ne Nacht. Und in der
Früh dann Weißwurstfrühstück.
Und eure schlechteste Erinnerung? Die erleb ich jeden
Tag aufs Neue. Und zwar immer wenn man zu Ende
gegessen hat. Is doch so, oder? Da hat man nen ganzen
Teller Spaghetti mit der leckeren Soße und ehe man sich
versieht is man beim letzten Löffel und der Spaß is
vorbei, das ist immer so traurig.
Wisst ihr was noch arschlustig is? Kitzeln.
Also klar, is ja Sinn und Zweck. Ein Leben ohne
gekitzelt zu werden ist ein verschwendetes Leben,
eindeutig. Wie kann man kitzeln nich mögen. Man flackt
mit seinen Freunden rum, und Freunde sind ja sowieso
schon so toll, und irgendeiner beginnt zu Kitzeln und es
endet in ner Schlägerei.
Mit Freunden wirkt Zeit auch immer viel besser, klar.
Sinnvoller. Man hat halt was zu machen.
Ich frag mich, was die wohl in zwanzig Jahren so
machen. Sind schon unglaubliche Leute und ich hatte
echt Glück mit denen. So viele Geschichten, die man

                          22
erzählen könnte wenn man Großvater is, haben sich mit
denen abgespielt, unglaublich. Einer von ihnenwar
immer mit dabei. Immer, egal wo. Hätte echt gern gesehn
wie die als alte Knacker ausschaun.
Themenbruch.
Mögt ihr Träume und Schlaf?
Ich find beides manchmal verwirrend. Da gibt's Zeiten,
in denen man sich in sein Bett kugelt und sofort
einschläft und andere wo man egal wie liegen kann und
trotzdem nicht zum Pennen kommt. Ich schlaf ja immer
mit einem Bein über der Decke.
Schlafen an sich is auch total toll, wenn`s mim
Einschlafen klappt erst recht, aber das Aufwachen war
irgendwie noch nie wirklich toll. Is voll gut wenn man
den Rhythmus raus hat mim Aufwachen und Einschlafen.
Hat man einfach mehr vom Tag. Wenn man spät aufsteht
passiert's zu oft, dass man sich am Abend total unfertig
fühlt. Manchmal kann man sich retten, meistens nachts,
manchmal auch nicht.
Und dann gibt's die Nächte, in denen man träumt, endlos
lange, jeden Schmarrn und die Nächte wo man nichts
träumt. Ich bin mir sicher, dass ich als kleines Kind mal
die Augen zugemacht hab, für ein, vielleicht zwei
Sekunden und dann war es plötzlich hell, obwohl ich mir
sicher war nicht eingeschlafn zu sein.
Träume sind selten wirklich gut, manchmal kann ich sie
steuern, meistens läuft das so ab, dass ich dann laut im
Traum sage, hey, das ist ein Traum! Und dann merke,



                           23
dass es tatsächlich einer ist und dann vermeintlich tun
und lassen kann was ich will.
Die Umgebung konnt ich zum Beispiel nie verändern und
eigentlich dreht sich`s dann um Sex wenn ich`s steuern
kann und aber auch total oft um Fliegen, also ohne
Flügel, einfach so.
Aber oft sind Träume auch voll schlecht, da denkt man
sich, na toll, musste das jetzt sein. Manchmal gibt's diese
Art, bei denen man hinterher aufwacht und immer noch
für n paar Minuten daran glaubt, was man geträumt hat.
Einmal is irgendwer gestorben und ich bin echt fünf
Minuten auf und ab gehüpft, dass das doch nicht sein
kann, bis ich gemerkt hab was eigentlich los war. Die
Träume sind echt schrecklich.
Habt ihr schon Mal geträumt zu sterben?
Ich zwei mal. Das eine Mal wurde ich erschossen und
irgendwie konnte man es nicht glauben und hatte auch
Angst und wusste nicht was kommt, und irgendwie
wurde mir dann im Kopf heiß, dieser Moment, wenn man
merkt, dass etwas unwiderruflich vorbei ist, für immer.
Aber es gab ein Danach, weil ich mir ständig gedacht
habe was wohl jetzt kommt.
Das andere Mal ist die Welt untergegangen. Auch wenn
der Traum eigentlich ganz okay war.
Wir waren alle auf nem Feld in der Pampa zwischen n
paar Dörfern und haben Himmel geguckt und irgendwie
wussten wir, dass die Welt untergehen soll, aber
irgendwie hat's keiner so recht geglaubt.
In Träumen ist irgendwie alles irgendwie.

                            24
Naja und im Himmel waren also Sterne, es war Nacht, ja
und dann ging`s los.
Der erste Stern, einer, der normalerweise total festsitzt
begann zu wackeln, sich zu bewegen und wie ne
Sternschnuppe runterzufallen, genau so flüchtig, dass
man ganz kurz nur noch ihren Schweif nachhallen sieht.
Dann noch mehr Sterne, bis das mit allen passiert ist und
wir fanden es wunderschön.
Dann ging am Westhorizont irgendwas Helles auf, aber
es war total komisch hell und auch das war schön, aber
irgendwas begann runterzufallen und in Flammen
aufzugehen und wir liefen weg und der Asphalt begann
an manchen Stellen zu brennen, bis wir ins nächste Dorf
kamen, wo sich nun ganz viele Menschen aufhielten.
Dann hörte es auf.
Die Leute waren eigentlich ganz gelassen, redeten,
scherzten, küssten sich. Ich verabschiedete mich von
meinen Freunden. Dort wo es hell war, war es
wunderschön. Es war einfach so seltsam hell, nicht so
wie die Sonne aufgeht, viel surrealer mit leichten
Farbänderungen und total angenehm und die Wolken
wurden angestrahlt von dem hellen Etwas wie in einem
Ölgemälde.
Wenn man nach oben sah, war aber immer noch alles
dunkel aber mit ohne Sterne. Dann hab ich in den Norden
geguckt und ich dachte dort wären die Sterne
abgeblieben, aber es waren ganz ganz viele Flugzeuge,
die sich alle dort aufhielten.



                           25
Sie war auch in der Menge, ging an mir vorbei ohne mich
zu bemerken, aber ich spürte wie sie meinen Unterarm
leicht gepackt hat, dann nach unten Strich, einmal meine
Hand drückte und losließ. Dann ging sie weiter, stützte
sich auf nem Geländer ab und blickte in den
märchenhaften Himmel.
Ich ging noch ne Weile umher, plötzlich macht es
,,rumms", wieder brennt irgendwas, dort wo es hell ist
beginnt die Erde runterzufallen in ein rotes Nichts.
Ich dreh mich um und denk mir grad, wenn ich loslauf
überleb ich vielleicht zehn Minuten länger, aber da fällt
schon der Boden unter mir weg und ich hinterher in ein
Meer aus Rot.
Der Kopf wird wieder heiß, aber ich denk mir die ganze
Zeit was wohl jetzt kommt und fühle mich eigentlich
ganz okay, auch wenn ich ein bisschen sauer war, dass
alles so plötzlich passiert ist.
War eigentlich gar nicht so schlimm, für so ne Art
Traum, mein ich.




                           26
                           Drei

,,How i met your mother" is ja zurzeit voll in.
Ihr hat`s auch immer gefallen, sie kannt`s vor allen
anderen und genau deswegen hab ich`s mir nie
angesehen.
Schade, dass ich dann erst eingeschalten hab, als das
jeder gesehn hat. Meine Lieblingsfolge war ,,How i met
everyone else", aber jetzt wo ich falle, kommt mir eine
andere in den Sinn.
Sechste Staffel, Episode 13. Is zwar auch recht lustig,
aber darum geht's nicht. Es tauchen immer wieder Dinge
mit Zahlen drauf auf. Am Anfang 50, dann 49 und so
weiter. Jedes zweite Mal, wenn der Blickwinkel oder das
Bild sich verändert, wird ne Nummer runtergezählt. Man
wundert sich halt, worauf`s hinaus läuft und nachdem es
dann ne eher lustige Folge ist und ich weiß, ich hab`s mir
in dem Moment auch noch gedacht, dass des ne voll
lustige Folge ist, ,,Peng!" taucht die Eins auf und Lilly
sagt Marshall, (Achtung Spoiler Alarm) dass sein Dad
gestorben ist.
Das macht die Folge irgendwie total besonders, so wie
sie halt die ganze Zeit diesen Moment vorbereitet und
man sich immer wieder frägt, was wohl am Ende
passiert, irgendwas lustiges denkt man halt und dann
passiert`s. Dann sagt Marshall ,,I'm not ready for this",
dunkel, aus.




                           27
Zu erwarten war ja, dass man kurz vor seinem Tod nicht
an den Tod denkt, man denkt an das Leben, ist doch
völlig klar.
Tat mich schon immer relativ leicht mit dem Thema,
keine Ahnung wieso, auch wenn ich tierische Angst vor
meinem eigenen hatte. Irgendwie ist man ja schon
neugierig was danach kommt.
Als ich in der Grundschule war, ist mein neuer bester
Freund gestorben. Is im Sommer in nen Weiher
gesprungen und dann in so Wasseralgen hängen
geblieben und ertrunken. Yuri hieß er, aber ich weiß
seinen Nachnamen nicht mehr. Kurze rote Haare,
Milchgesicht, Sommersprossen, aber n Raufbold, son
typischer Russe halt.
Das Letzte, was ich zu ihm gesagt hab, war, ,,Verzieh`
dich, fass das nicht an!", hatte halt irgendwas Cooles mit
in die Schule gebracht und keiner sollte es anfassen, aber
ich hatte nie ein schlechtes Gewissen gehabt oder so, er
wusste wie ich`s gemeint hab und ich wusst`s auch, is
doch klar, so war das halt zwischen uns beiden. Wir
haben uns so oft beleidigt, das hat man schon gar nicht
mehr gehört, war also eigentlich ne ganz gute letzte
Erinnerung.
Seinen Tod hab ich gar nicht wirklich gecheckt, schaff`
ich bei anderen irgendwie nicht so. Sie sind einfach
irgendwie weg und das war`s. Ich war noch zu jung.
Jetzt bin ich zu alt. Was wohl passiert wenn sie sterben
würde? Is wohl der einzige Gedanke, der mir noch Angst



                           28
macht, keine allgegenwertige Angst, aber dennoch der
Einzige.
Wenn Menschen sterben, holt das immer sehr viel Gutes
aus anderen Menschen hervor. So wie bei der Beerdigung
meiner Oma.
Die Leute kommen viel mehr aus sich raus und sind viel
nachsichtiger mit sich und anderen. Sonst ist noch nie
jemand gestorben, der mir nahe stand. Meine Großmutter
is recht plötzlich gestorben, aber irgendwie hab ich`s
auch da nicht wirklich realisiert und bis jetzt auch nicht,
wie immer halt, aber der schlimmste Moment war nicht
ihr Tod.
Das schlimmste war, als mein Dad nach Hause
gekommen ist und mich in den Arm genommen hat und
gesagt hat ,,die Omi ist weg". Vor allem, wie er es gesagt
hat, da war ein Stück Seele mit dran.
Habt ihr schon einmal gesehen wie jemand gestorben ist?
Da gibt's dieses Video, bei Youtube glaub ich.
Studentendemo, im Iran oder so, und eine junge Frau
wird als einzige niedergeschossen, aus dem Nichts.
Ihr Name ist Nada und irgendeiner hat ihr Sterben mit
der Kamera gefilmt.
Das erste Mal, als ich das gesehen hab, war sehr
verwirrend. Zunächst sieht man nicht viel und man denkt
sich, wieso der Idiot das mit der Kamera filmt, aber dann
wird das zur Nebensache.
Nada liegt auf dem Boden, n paar Leute um sie und sie
sieht aus als würde sie schlafen. Dann strömt erst wenig
Blut aus ihrem Mund und ihrer Nase und dann viel.

                            29
Währenddessen werden ihre Augen weiß wie ein Blatt
Papier, so viel Nichts in diesen Augen, das hat mir
unglaublich Angst gemacht. Mein Kopf wurde heiß, aber
nicht außen sondern innen. So wie wenn man als kleines
Kind bei irgendwas erwischt wird und denkt, die Welt
geht unter. Ne Art Blackout, ein Stromkabel, das in
einem gekappt wird.
Das war unglaublich traurig, es mitanzusehen. Aber
gleichzeitig kann man in diesem Moment nichts Böses
empfinden.
Ich hab oft dran gedacht, wenn ich der Meinung war,
dass ich mit irgendwas übertreibe. Hat mich auf den
Boden der Tatsachen zurückgeholt.
Was für ein Mädchen sie wohl war? Sie hat bestimmt
jemanden geliebt und jemand hat sie geliebt. Wie ihre
Sommer als kleines Kind wohl aussahen. Bestimmt
mochte sie Himmel. Und dann war ihr Leben vorbei, so
viele Lieben und Sommer, die noch gekommen wären,
waren damit vorbei.
Ob sie das wohl mitgekriegt hat?
Ich fände es schlimm, nicht zu wissen ob ich jetzt sterbe,
einfach deshalb, weil es mich interessiert, wie es sich
anfühlt. Jetzt wo ich falle kann ich sagen, dass man alles
auf einmal fühlt, aber irgendwie glaubt man selbst in
diesem Moment nicht dran, dass man stirbt.
Das ist wie bei Musik, wisst ihr.
Wenn man dieses eine Lied oder diese eine Band hört,
dann ist das wie ein Flashback, plötzlich wird man aus
dem Leben gerissen, in einen vertrauen Moment, man

                           30
riecht das, was man damals gerochen hat, fühlt sich so,
wie man sich gefühlt hat. Man möchte zurück. Man ist
für einen Augenblick dort. Man will nicht fallen.
Musik is schon was einmaliges. Lyrik kann etwas
Unglaubliches beschreiben, manchmal sogar sehr
treffend und mitreißend, aber irgendwie reicht sie
trotzdem nicht an das tatsächliche Unglaubliche heran.
Musik ist etwas näher dran, aber nur ein bisschen. Musik
als Botschaft. Was is euch wichtiger, Text oder Klang?
Ja klar, beides, aber was is wichtiger? Fragt mich nicht.
Ich hör Musik zum Musikhören, andere immer nur
nebenbei, so als Untermalung. Kann ich irgendwie nicht.
Was mich immer voll nervt, is, wenn man dann genau die
beste Stelle verpasst. Dann legt man des Lied nochmal
auf, macht nebenbei weiter und verpasst erneut die beste
Stelle, bah, son Schmarrn, sag ich euch.
Was hört ihr so alles? Ich steh voll auf Bob Dylan. All i
really wanna doooohooo, is baby be friends with you.
Bob Marley, we're jammin'. Eher sowas halt. Johnny
Cash. Heutzutage hört sich die erfolgreiche Musik nur
noch total gleich an. Gibt natürlich auch Lichtblicke, aber
die sind dann zum Beispiel nur in Deutschland bekannt
oder so, beispielsweise Beatsteaks oder Seeed, oder auch
Wir sind Helden, so was halt. Red Hot Chili Peppers fand
ich auch immer voll geil. Die Beatles und Lennon alleine.
Auch die Doors haben son kleines Revival in letzter Zeit,
finde ich.
Musik hat so viele Farben, das is krass oder?



                            31
Zu jeder Stimmung gibt es eine Musik. Zu jeder Farbe
eine Stimmung. Musik lässt vergessen, bringt die Zeit
mal wieder zum Stehen. Zusammen sogar noch mehr als
alleine. Mit ihr sowieso.
Heute, bevor ich rausgefahren bin um zu springen, hab
ich ne neue Band entdeckt. Voxtrot, mit "The start of
something", hört's euch mal an. Is son klassischer Brit-
Pop, aber der Text hat mir voll gut gefallen. If I die
clutching your photograph. Don't call me boring, It's just
'cause I like you.
Arschgeil is auch, wenn ein Lied so übelst gut is, dass es
in den Armen beginnt zu kribbeln, oder eine Stelle in
dem Lied einfach so total hammer is, n gutes
Gitarrensolo beispielsweise oder so, macht voll frei.
Konzerte erst. Mit Freunden. Wenn dann ein Lied
kommt, das man kennt und alle des mitsingen und man
sieht so viele Hinterköpfe und vorne die Band, dann
einfach wow. Und dann sind da immer die Mädels, die
vereinzelt auf Schultern hocken und die, die total abgehn
und das Licht strahlt über die Menge in den
Abendhimmel und blendet manchmal und man erkennt
die Umrisse von Wasser, das in der Luft angestrahlt wird,
weil irgendwer seine Flasche auskippt oder Seifenblasen
die hochsteigen.
Würd jetzt viel lieber Musik hören. Ein neues Lied. Ein
altes Lied. Nochmal ein altes Lied. Eine Farbe. Ein
Regenbogen. Ein Einhorn. Okay, Scherz.
Dauert echt lang, son Sturz aus sieben Metern.



                           32
Bin da mal mit diesem Mädel ausgegangen, hab sie
spontan zu nem Kaffee eingeladen gehabt. Hab gehört,
dass sie voll die Schlampe is und ich dacht, vielleicht
geht was mit ihr. Dann hat sich aber auf wundersame
Weise herausgestellt, dass sie total schlau und nett war
und wir haben uns lange über Architektur unterhalten
und so. Und dann über Musik. Sie spielt Saxophon und
Klavier. Und mein Lieblingsstück is Arabesque von
Debussy, hört`s euch an, und genau das fand sie auch
klasse und sie hat gesagt sie kann`s auch spielen.
Dann bin ich mit ihr auf meinen Hügel gefahren und hab
ihr die Sterne und die Skyline gezeigt und hinterher sind
wir zu ihr. Und ihr werdet es mir nich glauben Freunde,
aber ich wollt sie nich flachlegen, sondern mir das
Klavierteil anhören und tatsächlich, sie konnte es spielen.
Wahnsinn, hab vorher noch nich wirklich jemandem
beim Klavierspielen zugehört. Dann hat sie noch ein
Stück gespielt und noch eins und noch eins und sie war
eins mit dem Klavier und der Musik. Das hat sie äußerst
attraktiv gemacht, muss ich sagen. War ne klasse Nacht.
Mh, noch n Gedanke verstrichen und immer noch nich
näher am Boden. Wie sich das zieht.
Was ich von Politik halte? Hab gehört soll wichtig sein.
Kann im Großen und Ganzen wenig dazu sagen, zwar
nachvollziehen, warum Politik so viel verursacht hat,
aber nicht wirklich verstehen. Wählt was ihr wollt, was
ihr denkt das besser is, aber passt halt wenigstens bei den
wichtigen Themen n bisschen auf. Ihr wisst schon,
Atomkraft, Kinder und Tiere und so Zeug. Der Rest ist

                            33
nich so wichtig, is bei den meisten dasselbe, wobei
manche schon die Mentalität eines KZ-Arztes haben. Ich
sag's mal so, als Lenin ein Buch von Marx gelesen hat,
hat irgendwo in irgendeinem Park ein Quartett Musik
gespielt, an einer anderen Stelle ist jemand verhungert
und nochmal wo anders liebte eine Mutter ihren Sohn.
Gibt halt Dinge über die es sich viel mehr lohnt
nachzudenken, wenn man sich schon so mal zum
Nachdenken bringen kann. Manche Dinge gehen schon
ans Gewissen und man beginnt sich Fragen zu stellen und
eine Meinung zu haben, aber irgendwie muss man sich
doch ständig hinterfragen. Beginnt schon bei kleinen
Dingen... sie isst jetzt beispielshalber kein Fleisch mehr.
Muss sagen, dass ich Fleisch jetzt auch nicht wirklich
vermissen würde, hätte gerne mehr Zeit gehabt mich
damit zu befassen.
Außer natürlich so ne Räucherwurst von meiner Oma,
Alta is die lecker. Das war aber n glückliches Schwein,
die schlachten es dann auch selber, aber ich versteh
zumindest die Fragestellung.
Was dann bei Fragestellungen von Personen, bei denen
zu Hause noch mit Hammer und Sichel gegessen wird,
irgendwie nich der Fall ist.
Die Welt verändert sich im Detail und sobald du beginnst
dich da reinzusteigern, verlierste den Überblick und so.
Ab dann gibt's nur noch einen richtigen Weg und kaum
Verständnis. Und das ist doch schließlich das wichtigste.
Verstehen lernen, denken, überdenken und daraus was zu
machen. Manchmal, vermutlich eher oft, wird man halt

                            34
stolpern, aber mit Verständnis kann man das
nachvollziehen und weiter machen.
Versteh gar nicht warum Menschen so Probleme mit
Fehlern haben. Ich weiß nich, was ich von Leuten halten
soll, die behaupten, dass sie wenige Vorurteile haben und
keine Anderen in Schubladen stecken.
Ich hab unglaublich viele Vorurteile. Wichtig is bloß,
dass man halt irgendwann merkt, warum man welche hat
und welchen Sinn die haben.
Irgendwie kommt den Menschen das unverbindliche
Verständnis abhanden. Aber das ist auch okay so, denn
wenn man verstehen will wieso, muss man auch darauf
Rücksicht nehmen. Jeder hat seine eigenen Probleme und
Erfahrungen. Jeder kann sich ändern und geändert
werden, man brauch bloß Verständnis und so. Bei den
meisten schläft einfach das Gehirn ein und wir haben so
oft nicht die Geduld und die Auffassung dafür, dass sie
einfach geweckt werden müssen.
Darf aber natürlich keine Ausrede sein, vor allem bei
eigenen Fehlern. So oft weiß man, dass man was falsch
macht und tut`s trotzdem, das zählt nicht. So viele Leute
wollen sich ändern, manche beten dafür.
Wenn es einen Gott gibt, würde er den Menschen nicht
das geben wofür sie beten, sondern die Möglichkeit es in
diese Richtung zu lenken. Die Entscheidung liegt dann
bei ihnen. Das war schon immer gut, man hat immer die
Wahl.
Auch Fehler können manchmal richtig sein, wenn sie aus
der richtigen Motivation heraus begangen werden. Wenn

                           35
ihr welche macht, is nich schlimm, ihr werdet nicht mit
ihnen Leben können und euch ändern, so läuft das nun
mal. Hab mal in nem alten Film mit Robert Redford
gehört, dass jeder von uns zwei Leben lebt, eines in dem
man lernt und eines, das wir danach führen. Ich glaub in
dem Film ging es um Baseball. Kubrick Filme sind
übrigens auch gut.




                          36
                           Vier

Mögt ihr eigentlich Woody Allen?
Der hat schon was, ne besondere Art von Flair. Filme
von Allen sind so warm. Analog aufgenommen, klar.
Warme Momente. Was sind eure warmen Momente, also
außer abends nen Film von Woody Allen zu sehn?
Erinnert ihr euch noch als ihr klein wart und immer
hinten im Auto gesessen seid, eine lange Nachtfahrt oder
so was. Ich hab immer ne Decke gehabt. Und mein Vater
ist gefahren. Wie sicher man sich da gefühlt hat. Und die
Zeit stand still. Oder nach einem anstrengenden Tag sich
in sein Bett zu krümeln. Alter, so richtig voller Genuß
einzuschlafen? Da stand die Zeit still.
Weihnachten. Die Zeit steht. Dann, der Moment wenn
man durchmacht und die Sonne auf geht. Es ist etwas
anderes, wenn sie auf geht und man noch total
verschlafen ist. Aber wenn man noch nicht geschlafen
hat, dann ist das Licht ganz anders und so besonders,
dass die Zeit steht. Oder fern ab jeder Ortschaft auf einer
Wiese, auf der man nachts Myriaden Sterne sehen kann,
so viele wie man zuvor noch nie gesehen hat, so viele
wie bei Titanic, als Jack aufm Deck liegt. Die Zeit steht.
Oder der Moment, an dem ich sie das erste Mal gesehen
hab. Oder wenn man fällt.
Wir wird man nur so alt, wenn es so viele zeitlose
Momente gibt?
Aber es ist immer dasselbe. Währenddessen passiert
alles, aber auch irgendwie nichts. Die Zeit steht, kommt

                            37
einem so unendlich lang vor und hinterher fühlt es sich
an wie eine Sekunde. Der Körper ist schon im nächsten
Moment und man versteht nicht was passiert, genauso
wie wenn man fällt.
Wie weit man wohl fallen kann, bevor der Geist so alt
wird, dass es Zeit für einen ist zu sterben? Altert man
überhaupt oder gar langsamer? Altern ist bestimmt nicht
so schlimm. Wenn man alt ist, weiß man schon alles,
nämlich nichts. Man hat mehr Erfahrung, aber man weiß
im Grunde nicht mehr als früher. Aber man hat weniger
Angst vor der Zukunft.
Klar, Angst vor dem Tod, aber die hat man in jungen
Jahren auch schon. Und dass sie nicht akut ist, ist doch ne
Lüge. Hab mal gehört, die Angst vorm Sterben ist die
einzige, die nicht therapierbar ist, weil es keine Zeit gibt
sich daran zu gewöhnen. Bad News. Ich frag mich, wie
ich n paar Meter weiter unten drüber denke. Aber es ist
beruhigend zu wissen, dass man's herausfindet.
Sommerabende bringen die Zeit dazu, stehen zu bleiben.
Ja.
Wenn keine Wolke am Himmel ist und dieser an einem
Ende rot beginnt, dann pink und violett wird, bis hin in
ein blau, in das man versinken will und schließlich
schwarz, mit vereinzelten Sternen. Am besten liegt man
dazu an einem See mit seinen Freunden, die Haut im
Gesicht ist noch warm, weil den ganzen Tag die Sonne
drauf geschienen hat. Wenn man einatmet, riecht man so
viel Bekanntes, das Wasser und Gras,und den Sommer
natürlich, schließlich ist es ja Sommer und die Luft, die

                            38
abkühlt, aber immer noch warm ist und man riecht
Flieder, auch wenn Flieder ja eher Ende Frühling blüht,
aber sei`s drum. Dann steht die Zeit still.
Man blickt auf das Wasser, hört Grillen und Vögel und
so und Mücken. Jo, die nerven tierisch, aber auch die
gehören dazu.
Da lag ich einmal und es war ein Feuerwerk angekündigt
und da lag dieser fremde Junge neben mir, etwa in
meinem Alter und der hatte bemerkt, dass ich das alles
schön finde und dann hat er begonnen zu reden, hat mich
nicht mal angesehen gehabt, aber ich wusste, dass er mit
mir redet, ist doch klar, war ja sonst keiner so nah dran.
Er hat bloß die Farben am Himmel angesehen und auf
einmal hat er mit mir geredet, sein Gesicht war auf einer
Seite rot von der Sonne und auf der anderen blau von der
Nacht.
Weißt du, hat er gesagt, weißt du, dass ein Feuerwerk für
mich ewig dauert. Besonders so eins. Der Tag davor, die
Sonne und alles, machen, dass alles langsamer vergeht,
viel angenehmer und jetzt warte ich hier mit den besten
Freunden, die ich mir vorstellen kann, darauf, eine Nacht
zu verbringen, an die ich mich immer zurück erinnern
werde, selbst dann noch wenn ich n alter Sack bin. Und
ich merke wie es zeitstill wird, ich schwör euch er hat
zeitstill gesagt, kein Scherz.
Mittlerweile is es dunkel geworden, nur n bisschen
Lagerfeuer neben uns. Und dann hat er gesagt, wenn ich
auf meine Uhr schaue, dann seh ich wie die Zeiger immer



                           39
langsamer werden, um so später es wird und wenn dann
das Feuerwerk losgeht bleiben sie stehn.
Und dann musste ich anfangen zu lachen, ich lachte erst
leise, so hechelnd und dann laut und er hat mich voll blöd
angesehen und dann hab ich ihm meinen Arm gezeigt
und auf dem Handgelenkt hat mir irgendwer ne Uhr
hingemalt gehabt und die Zeiger standen still, is ja klar.
Und genau als ich ihm die Uhr gezeigt hab, ging das
Feuerwerk los.
Der ganze Himmel war voller bunter Funken. Mann, sind
Feuerwerke geil, ich wünschte, es gäbe jetzt eines, das
wäre der richtige Hintergrund zum Fallen.
Orange, Türkis, Grün, Gelb, sich bewegend, pfeifende,
wobei ich die pfeifenden nich so mag, welche mit Knall
und welche ohne. Der ganze Horizont voll davon.
Wie Feuerwerk wohl von oben aussieht. Gibt ja so
Aufnahmen ausm Weltall glaub ich, hätt ich gern mal
welche gesehn. Die Zeit bewegte sich nicht und dann war
es zu Ende. Zwei Sekunden verstrichen wieder und wir
alle am See klatschten und dann ging plötzlich nochmal
ein Feuerwerkskörper los, ein einzelner kleiner, er war
violett und eher einer von diesen Kümmerlichen, aber es
war irgendwie wie ein Dankeschön auf unser Klatschen
und wir klatschten noch lauter.
Wenn man dann ruhig wird, rumliegt und nach oben
sieht, stehen da eine Zigtillion Sterne, vor allem am See.
Überall. Und es beginnt sich zu drehn. Man sieht den
großen Wagen, versteht sich von selbst, und Kassiopeia,
des sieht aus wie ein W, also die üblichen halt. Den

                           40
Orion auch, hab den lang nich mehr gesehn. Der Gürtel
und das Schwert des Orion, wobei wir immer
zweideutige Witze gemacht haben, dass das Schwert viel
größer is als der Gürtel. Wo das zweideutig is? Keine
Ahnung, aber sobald man etwas zweideutig ausspricht
und ganz wissend grinst, nehmen die Leute das
Schlimmste an, auch wenn man keine Ahnung hat um
was es geht. Is n Running Gag von uns geworden, wenn
wir so Blondis getroffen haben.
Sterne sind Wahnsinn, auch mit Skyline, dann sind oben
und unten ganz viele Lichter. Manchmal sieht man ja
auch den kleinen Wagen. Schon komisch, dass der genau
so aussieht wie der Große. Sterne geben einem das
Gefühl, nicht alleine zu sein, weil`s halt so viele sind.
Der Mond macht das schon, auch wenn man n Kaninchen
sieht wenn man ganz genau hinguckt. Son Gestirn gibt
Halt, so was gibt echt Sicherheit nachts, aber auch in
einsamen Momenten.
Jetzt wo ich falle sehe ich die Sterne, tatsächlich. Da ist
der große Wagen, aber ich sehe ihn nicht ganz, die
Brücke ist im weg. Ich wusste immer wo der große
Wagen ist. Wieso kann ich ihn jetzt nicht sehen. Wegen
der Brücke.
Bin häufig drüber gegangen. Oft saß ich betrunken auf
dem Geländer mit nem Bier in der Hand. Man hat nen
tollen Ausblick, die haben so Neonröhren an die Brücken
drangebappt. Grün und Blau. Kalte Töne. Maleen hat
immer gesagt, sie will, dass es warme Töne sind, Orange
oder so. Wollt ich am Anfang auch, aber man gewöhnt

                            41
sich dran und irgendwann kommt einem jede andere
Farbe an dieser Stelle falsch vor.
So oft bin ich auf dem Drecksgeländer gesessen. Die
Farben spiegeln sich im Wasser, kennt ihr das?
Arschgeil.
Ich konnte Tage lang drauf sitzen und den Wellen beim
Schwappen zugucken. Manchmal wollt ich springen,
manchmal sogar bloß aus Neugier. Wie verletzlich
Menschen doch sind, oder? Find ich schön, zeigt, dass
ihnen was wichtig ist.
Viele verbergen das oder werden misstrauisch. Manche
sind so Ellbogenmenschen, soll kein Vorwurf sein, aber
ich liebe alle Fehler, die gehen immer auf sehr
Menschliches zurück. Erinnert mich an mich.
Aber keine Sorge, wenn ihr fallt, merkt ihr, wie wichtig
Fehler sind und ihr werden ganz gelassen. Ihr lächelt.
Mann, ist das Leben schön. Macht es Sinn? Keine
Ahnung. Macht es? Wie kommt es, dass wir Momente
haben, in denen wir wissen, dass es Sinn macht und in
anderen entlarven wir alles als Lüge. An was soll man
glauben? Macht euch keine Sorgen. Oder nein, doch,
macht euch Sorgen, sonst kommt ihr nie an den Punkt, an
den ihr sagen könnt, dass ihr versteht obwohl ihr keinen
Plan habt.
Wieso haben Menschen manchmal ein so großes Problem
mit Gegensätzlichkeit? Naja, vielleicht sagen sie das
bloß, um sich zu schützen. Wenn etwas keine Logik hat,
muss es ja sinnlos sein, nich? Können zwei Dinge, die
sich ausschließen, gleichzeitig existieren? Puh, tricky

                          42
Frage ey, wie man so schön sagt. Für mich schon, muss
aber jeder für sich entscheiden. Forrest Gump sagt, dass
sich Menschen immer fragen, ob alles bloß Zufall oder
Schicksal ist, aber, dass ja vielleicht beides zur selben
Zeit passiert. An was glaubt ihr?
Mitunter, die Frage. Zufall oder Schicksal. In Wahrheit
trennen wir Menschen das bloß, weil wir in Worten
reden. Glaubt ihr an die banalen Dinge, die passieren und
uns scheinbar ein Zeichen geben wollen? Wieso
passieren dann schlechte Dinge, mitunter auch guten
Menschen? Hab ich euch von Maleen erzählt?
Sie lächelt immer, so ein Lächeln, in das man Stunden
hineinblicken könnte. Wahnsinn. Unglaublich tolle
Geschichte.
Passt auf, ihr Vater war in seiner Jugendzeit n richtig
Hübscher, hatte sich da in ein Mädel verguckt. Er is ihr
täglich mit dem Rad ins Freibad hinterher gefahren, nur
um sie zu sehen. Irgendwann sind sie zam gekommen
und wieder auseinander gegangen. Er wollte aber immer
nur sie. Immer nur sie.
Sie hatte nen Typen dazwischen, dann wieder mit
Maleens Dad. Die beiden heirateten. Hatten ihre Höhen
und das Gegenteil davon. Waren ziemlich lässig drauf, so
wie man gerne sein will, wenn man mal erwachsen is.
Zwei wunderbare Kinder, vor allem Maleen. Is so
eigentlich das, was man will.
Ihr Dad hat mal gesagt, dass er nich mehr weiß ob er ihre
Mum liebt, das hat Maleen voll aus der Ruhe gebracht,



                           43
aber wenn man fällt, weiß man das besser und findet es
normal und süß.
Ihre Mum erkrankte an Krebs.
Ging alles ziemlich schnell. Sie hatte ihrer Familie nicht
gesagt, wie ernst es is und so. Eines Tages ging Maleen
dann zu ihrer Mum ins Krankenhaus und hat mit ihr die
Nacht verbracht. Hat ihr alles aus ihrem Leben erzählt.
Das sie zum ersten Mal verliebt ist und sie ihn geküsst
hat und dass sie Hoffnung hat und dass sie dies und jenes
mag und ihre Träume und Wünsche und alles.
Stellt euch vor ihr wisst, dass ihr sterbt.
Um was macht ihr euch am meisten Sorgen, mh?
Wahrscheinlich, wie es mit denen weitergeht, die ihr
liebt. Und dann kommt euer Kind zu euch, blutjung, und
erzählt euch, dass es das erste Mal liebt und es ihm gut
geht. Und dazu ist sie noch so ein liebes und gelungenes
Mädchen.
Muss das schönste gewesen sein, was sie je in ihrem
Leben gehört hat.
Zwei Tage danach ist sie gestorben, plötzlich. Puh und
ihr Vater erst. Des is son toller Typ sag ich euch. War
voll fertig mit den Nerven. Ich weiß nich, wie genau er
damit umgeht, aber ihr kennt das vielleicht, wenn etwas
ganz schlimmes passiert und ihr so stark heulen müsst,
dass ihr euch auf den Boden kauert und versucht zu
schreien und kein Ton kommt raus.
Dieser unglaublich tiefe Schmerz, der alles in euch
erschüttert, der alles berührt und das an den Tag fördert,
was ihr wirklich denkt. Wenn ihr dann das erste Mal im

                           44
Talbecken von so viel Unglück seid, das erste Mal an
diesem Ort von totaler endgültiger Verzweiflung seid,
dann seid ihr das erste Mal wirklich ehrlich zu euch
selbst.
Maleen hat mir nie erzählt, wie genau es ihrem Vater
geht, nur dass es sehr sehr schlecht um ihn stand, aber als
ich ihn dann gesehen hab, das erste Mal seine Augen
gesehen habe, wusste ich, dass er diesen Ort schon mal
gesehen hat. Und wenn man dort ist, bereut man alles
was man je falsches gedacht hat, dass man gezweifelt hat,
dass man so dumm war und den Dingen nicht die
Wertschätzung entgegenbrachte hat, die sie verdient
haben.
Sein Leid ist ehrlich und gut so. Leid schweißt
zusammen, schon aufgefallen? Ein Preis, den man für
Liebe zahlt, gerne sogar. Ob es Liebe nun gibt? Immerhin
wusste er ja vorher nicht genau wie es um seine Gefühle
steht. Immerhin wissen nicht mal wir es manchmal, oder?
Liebe. Die Zuneigung zu einer Person um ihretwegen.
Um ihretwegen.
Gibt es sie, die eine? Blöde Frage, ge, wenn sich ihre
Antwort immer gerade an unsere Lebenssituation
anpasst. Ich beantworte sie so.
Maleens Vater lacht. Maleens Vater gibt nicht auf.
Maleens Vater sieht Maleen an und weiß eine Antwort,
für die es keine Worte gibt, auf eine Frage, deren Gefühle
man nicht beschreiben kann. Ein Kind mit der Person die
man liebt. Sein eigenes Kind. Und man merkt, dass in
zwei Körpern tatsächlich eine Seele leben kann, auch

                            45
wenn man das mal vergessen hat. Er weiß, er liebt.
Maleen gibt nicht auf. Maleen lacht. Maleen hat Angst.
Maleen liebt. Maleen zweifelt. Maleen.
Zufall oder Schicksal, wie alles laufen kann? Dinge
passieren. Darum. Aber es ist ein wenig wie mit Karma.
Da gibt es doch dieses Bild, wo einer einen Dominostein
umstößt und die Kette sich dann so lange verlängert bis
es wieder ihn trifft. Dinge passieren, aber man kann
beeinflussen. Man kann das Wie verändern. Immer.
Selbst kleine Dinge wirken sich groß aus.
Kleine und große Fehler gehen auf dieselben Ängste,
Gefühle und Zweifel zurück. So verhält es sich mit allem
was wir machen. Alles ist miteinander verbunden. Wir
können andere verändern und uns selber.
Maleen und ihr Vater geben nicht auf, wie kann das dann
irgendein anderer? Allein schon, weil die beiden es
verdient hätten, für sie zu kämpfen.
Maleen gibt Stärke, wenn sie das schafft, schaff ich das
erst recht. Wieso hab ich sie dann enttäuscht.
Wenn ich so darüber nachdenke, gibt es nichts, was ich
mehr will als ein Kind mit ihr.
Ich hoffe Maleens Mum verzeiht mir. Ich sehe Steine
unter mir.




                          46
                        Fünf

Mögt ihr eigentlich Käse? Ich mag Käse. Keine Ahnung,
wie ich drauf komm. Man denkt an so einiges wenn man
fällt. Wir waren vorhin mal bei Sonnenaufgängen, wie
findet ihr Sonnenuntergänge? Beide sind alleine schon
unglaublich. Aber wenn man sie mit jemanden
zusammen ansieht, einfach wow.
Ich kannte da diesen Jungen, der gesagt hat, er will nie
wieder einen Sonnenuntergang verpassen, in seinem
ganzen Leben nicht. Ich frag mich ob er sich dran hält. Er
muss viel bereuen, sonst würde er so was nicht sagen.
Auch wenn Sonnenuntergänge zugegebenermaßen
einfach phänomenal sind. Aber er wird schon
irgendwann merken, dass nichts wirklich falsch ist.
Es ist schön zu wissen, was danach kommt. Das gibt
einem Gelassenheit. Er hat immer alles bereut, was er
gemacht hat. Aber was ist schon falsch?
Versteht mich jetzt bitte nich falsch, das soll nich so ne
Diskussion werden, von wegen, hier, das ist richtig und
das nicht und wer entscheidet das überhaupt, was falsch
und richtig ist und überhaupt, spielt es eine so große
Rolle und am Ende landet einer von euch bei Kant und
will mir was über Moral erzählen.
Nö, Jungs. Ich meine schlicht, alles besteht aus Gründen.
Ende. Niemand kann instinktiv falsch handeln.
Das ist so wie wir mal versucht haben geradeaus auf eine
Mauer zuzugehen und wisst ihr was, das geht nicht mal
betrunken. Man zuckt immer ne Millisekunde davor.

                           47
Aber warum macht jemand was falsch? Weil er diese und
jene Erfahrung gemacht hat und sich dann vielleicht
hängen lässt oder so was. Es ist anmaßend zu behaupten,
dass man wenigstens in ein paar grundlegenden Dingen
immer richtig handeln muss und noch anmaßender zu
verurteilen.
Wird man als schlechter Mensch geboren? Gibt es
überhaupt schlechte Menschen? Diese Frage zu
beantworten, tut weh.
Was sagt man zum Beispiel einem Vater, dessen Kind
ums Leben gekommen ist, weil irgendein Idiot frei
rumlaufen darf? Nichts. Man muss Verständnis haben,
auch dafür, dass es bei so was schwer ist Verständnis zu
haben, oder etwa nicht?
Aber dann muss man auch die andere Seite verstehen
wollen. Selbst wenn es weh tut. Selbst n Vergewaltiger
wird nicht als solcher geboren, oder? Der hatte auch
einen Vater.
Wie soll man so was verstehen auf dieser Welt. Aber
Hass erzeugt nur noch mehr Hass, und unvorstellbares
Leid. Vergebung ist Regen. Wie soll man aber vergeben?
Keine Ahnung. Aber man muss, das weiß ich jetzt.
Das hat mir Rebecca beigebracht. Ich weiß nicht, ob alle
so sind wie sie, aber das, was sie erzählt hat... ist auf
eine schreckliche Weise wohl das schönste, was ich
jemals gehört habe.
Ich hab sie vor ein paar Jahren im Park getroffen. Ich war
jung und sie um einiges älter als ich. Sie war mit ihren
Freundinnen auf der Wiese gelegen und die Ruhigste von

                           48
allen, hat kaum ein Wort gesagt. Ich hab sie schon mal
zusammen im Park gesehen.
Unter einem Vorwand hab ich mit denen zu reden
begonnen und weil ich sie am interessantesten fand,
wollte ich auch unbedingt mit ihr reden, aber sie
erwiderte nie wirklich viel. Irgendwann hab ich mir
gesagt, scheiß drauf, bin aufgesprungen und hab sie
gekitzelt, woraufhin sie zu wild um sich schlug und zu
weinen begann. Ihre Freundinnen haben mich weggezerrt
und mich total angekeift und ich wusste nicht was zum
Teufel los war.
Ich hab`s noch gar nicht richtig begriffen gehabt, da
waren die schon weg. In den Tagen darauf hab ich immer
im Park gewartet, immer um dieselbe Uhrzeit, auf sie,
damit ich sie fragen kann was los war und mich
entschuldigen, auch wenn ich nicht genau wusste für
was. Aber sie kam nicht.
Woody Allen hat doch mal gesagt, willst du Gott zum
Lachen bringen, dann verrat ihm deine Pläne.
Irgendwann nach langer Zeit hab ich sie in der Stadt
getroffen. Ich hab sie angesprochen. Ich habe mich
entschuldigt. Ich war jung. Und wir wurden so was wie
Freunde.
Ihr Name war Rebecca. Als sie 16 war, wurde sie im
Urlaub in Spanien von drei Typen vergewaltigt. Einer hat
Englisch gesprochen und seitdem konnte sie nicht mehr
in den Englischunterricht, weil der eine Lehrer da so ne
ähnliche Stimme hatte. Sie konnte anderen Menschen
auch nicht die Hand geben, überhaupt gab es nur wenige

                          49
Menschen, zu denen sie Kontakt hatte und das Haus
verließ sie auch kaum noch.
Sechs Monate hat es gedauert bis ich ihre Hand halten
konnte. Wir haben viel darüber geredet. Ehrlicher, als sie
es mit jemand anderem hätte tun können. Das war schön.
Ich war zu der Zeit noch sehr wütend, wisst ihr?
Aber sie hat mich eine unglaublich große Sache gelehrt.
Wenn man fällt, verliert man seine Wut. Eigentlich
verliert man alles was unwichtig ist, man schwebt. Alles
was von Belang ist, ist schon da.
Stillstand.
Ich fragte sie, du musst doch so unglaublich hassen?
Und sie sagte schlicht, Nein.
Es vergingen Tage bevor ich sie fragte warum nicht, ich
war immer sehr vorsichtig mit neuen Fragen.
Sie sagte, wenn einem so viel Leid angetan wurde, dann
hat man einfach keine Lust mehr auch nur eine Sekunde
mehr in seinem Leben zu hassen.
Ja klar, am Anfang, am Anfang ist nur Hass. Nur Hass.
Es brennt, es brennt innen, überall, nur Hass, du wäscht
dich und du wäscht dir die Haut vom Leib, damit es
weggeht, aber es geht nicht weg, es wird alles nur noch
schlimmer.
Aber das ist das, was die mir angetan haben. Der Hass
kommt von ihnen, er ist nicht meiner, ich will nie wieder
hassen, davon muss ich kotzen. Ich werde ihnen nie
vergeben können, aber du musst es, damit nicht noch
mehr Leid in der Welt ist und damit solche Dinge nicht
mehr passieren.

                           50
Irgendwie muss man verstehen. Ich hatte so viel Respekt,
ich begann zu weinen.
Kalte Tränen, keine heißen. Und dann nahm sie mich in
den Arm. Ihr Atem wurde ruhig. An der Art wie ein
Mensch atmet, erkennt man seinen Zustand. Nicht am
Herzen. Es hätte andersrum sein müssen, aber sie nahm
mich in den Arm.
Das war Güte.
Das erste Mal, dass ich echte Güte kennengelernt habe.
Und mit Güte verschloss sie die Wunden die sie hatte.
Narben wird sie immer haben. Aber die Güte hat ihr ein
Leben ermöglicht.
Wenn man fällt empfindet man eine sehr gütige Kraft,
die einem sagen will, dass es nichts gibt, wovor man je
wieder Angst haben muss.
Ich schäme mich ein wenig, jetzt wo ich darüber
nachdenke, dass ich falle und sie nicht.
Ich mag es, Dinge zu überdenken. Dass ich falle, obwohl
ich so viel weniger Leid und Schmerz erfahren habe.
Vielleicht nicht genug. Leid formt. Ist das Wesen von
allem, was strahlt. Hinterher weiß man das und es
beruhigt einen.
Rebecca hat auch viel über die Zeit davor gesprochen.
Sie hatte damals einen Freund. Er ist irgendwie nicht
damit fertigt geworden, was ihr passiert ist und hat sie
verlassen.
Ich hätte denken müssen, was für ein Arsch. Ja.
Vielleicht. Aber sie ist Güte. Und wenn sie gütig sein
kann, dann kann ich das auch und dann kann ich auch

                          51
Verständnis haben. Verständnis ist keine Akzeptanz, sie
ist gütig und deshalb viel mehr, wisst ihr? Das fehlt so
oft, Verständnis und Güte. Etwas nachvollziehen können,
um zu verändern. Rebecca ist irgendwann umgezogen.
Ich frage mich, ob sie enttäuscht von mir ist.




                          52
                          Sechs

Wie sieht's eigentlich mit Disney Filmen bei euch aus?
Soll ja Leute geben, die sind ohne aufgewachsen. Mein
persönlicher Favorit war ja immer ,,Die Hexe und der
Zauberer", auch wenn die Hexe nur ne Nebenrolle spielt
und der eigentliche Hauptcharakter der junge König
Arthur ist.
Ich mochte die Art wie der gezeichnet war. Auch das
Tempo der Story, hat einfach gepasst. Und diesen andren
mocht ich auch, den mit Robin Hood als Fuchs, ihr wisst
schon Oo-de-lally, Oo-de-lally, welch ein schöner Tag!
Und natürlich den Trickfilm überhaupt. König der
Löwen. Den gibt's gar nich mehr wirklich zu kaufen,
ehrlich. Die Regale voller neuem Blödsinn voll gestellt,
die ganze Disney Abteilung.
Als Kind hatten die echt was oder? Jetzt auch noch, klar.
Ich hab dann angefangen die in Originalsprache zu
schauen als ich älter wurde. Also Englisch, klar.
Vermisst ihr die Zeit als Kind? Wär schade wenn nicht.
Vermissen tu ich alles, hab ich schon früher. Immer wenn
was Tolles passiert ist, dacht ich mir, Mann das werd ich
bestimmt mal vermissen. Glaubt mir, es ist nicht
angenehmer wenn man schon weiß, dass man es
vermisst. Mann... oh Mann. Voll schön. Leute.
An was erinnert ihr euch noch aus eurer Kindheit? Alles
sah anders aus, klar. Oder nich? Dinge waren wichtiger,
das weiß ich. Das bedeutet Erwachsenwerden, alles wird
allmählich unwichtig. Aus vielen Gründen. Aus Angst,

                           53
Verletzung und Enttäuschung. Oder weil`s alltäglich
wird. Deswegen sagen Manche ja, dass alte Leute nur aus
Gewohnheit zusammen bleiben. Aber das stimmt nicht
wirklich. Deswegen fällt man ja. Wenn man schwebt und
alles Unwichtige endlich unwichtig ist, gäben wir alles
um die kleinen kostbaren Dinge zu behalten, die wir
davor so leichtfertig haben liegen lassen.
Aber hey, macht euch nicht so nen Kopf, alles läuft in
richtigen Bahnen. Wenn man davon abkommt, merkt
man das an irgendwas. Eben daran, dass etwas fehlt.
Als Kind mochte ich Luftballons. Die mit Helium und
die ohne. Stunden konnte man damit spielen, einzige
Regel, er darf den Boden nicht berühren, vorzugsweise
den Kaktus auch nicht. Akrobatische Rettungstaten geben
Pluspunkte. Dieser verfickte Kaktus. Man, war der
Kaktus toll. An den erinnre ich mich genau.
Auch an die Hände meiner Großmutter. Das fand ich
immer komisch. Ist n Motiv, das in vielen Filmen und
Büchern vorkommt. Die Haut meiner Großmutter. Konnt
ich nie verstehen. Wie Papier, sagen sie immer. Bis jetzt.
Jetzt wo ich falle, ist das, so lächerlich es klingt,
tatsächlich so.
Noch so ne Sache ist, dass man sich viel weniger an
schlechte Dinge erinnert, oder?
Also klar, ein paar Dinge sind schon mit dabei. Das eine
Mal, ich war noch voll klein, wo ich heulend im Bett lag
und wütend in mein Kissen Gott angeflucht hab. Er soll
meine Eltern sterben lassen und das hab ich viel viel
schlimmer gesagt und tatsächlich so gemeint.

                           54
Später tat mir das unendlich leid, bis ich gemerkt hab,
dass es nicht so wichtig war, was ich damals gedacht
habe. Außerdem, ich weiß noch nicht mal mehr warum
genau ich so wütend war. Meine Eltern sind übrigens
echt klasse.
Schon komisch wie wir angelegt sind, also als Mensch
mein ich.
Sex, gute Gefühle, warme Tage, der Geruch von Regen.
Humorvolle Welt. Ich kenne Menschen, die immer
lachen. Müssen nicht mal lustige Menschen sein, aber die
haben`s einfach drauf, eben einfach gut drauf zu sein. Da
war dieser Junge aus, ehm, eigentlich keine Ahnung wo
her. Sagen wir Hamburg, ja so was muss es gewesen
sein. Auf jeden Fall hatte der da seine rote Cappy. Genau,
das war's!
Der is so einer, der is mim Fahrrad mal durch China und
Laos und so Zeug und mal ein paar Monate in die
Wildnis nach Finnland und wär dort fast verreckt im
Schnee. Der brauch sowas halt. Ist so jemand glücklich
oder traurig? Hab ihn damals gefragt.
Er hat gesagt, weißt du, vielleicht sind wir beides, ich
mag Leute nicht die tatsächlich glauben, sie würden nicht
in Schubladen denken, aber wieso können wir nicht
beides zur selben Zeit sein. Glücklich und traurig auf
einmal, interessant eben. Bist du glücklich? Aber du bist
auch unglücklich oder? Na siehst du. Wieso ich mehr
lache als andere? Aus demselben Grund, warum du so
viel über Menschen erfahren willst und lieber zuhörst
und hinterher nicht aufhören kannst zu reden, wir haben

                           55
einfach viel nachzuholen, was uns früher eben gefehlt
hat. Ja, das hat er gesagt.
Wenn es viel nachzuholen gibt, war das dann aktives
oder passives Nachholen? Wo der Unterschied ist? Das
eine lassen wir aus Angst und das andere aus Trägheit.
Aber irgendwie hat das auch was Schönes, heißt
zumindest, dass es irgendwann Veränderung geben muss,
so oder so.
Wie ruhig alles ist wenn man fällt.
Ich atme viel ruhiger wenn ich falle, daran erkennt man
mich. Schneeflocken fallen genau so ruhig. Dann ist der
Himmel immer bedeckt und es riecht so wunderbar nach
Winter und Schnee, auch wenn man`s noch nich sehen
kann.
Wir haben immer recht nah an der Stadtmitte gewohnt
und die Wolken waren immer rötlich von den Lichtern.
Und wenn dann die erste Schicht Schnee liegt und es
immer noch weiter schneit und es einfach perfekt ist, will
man nicht aufhören zu gehen, weil es unter den Füßen so
toll knatscht. Ihr wisst schon, wenn der Schnee genau die
Nässe hat, dass es sich gut anfühlt drin zu laufen, bei
jedem Schritt.
Einmal hab ich versucht ein Schloss aus Schnee zu
bauen, aber so viel Elan hatt ich dann doch nicht. Richtig
geil war`s, als ich nen Drachen auf die Motorhaube von
unsrem Opel gebaut hab, der lag da so drauf, wie so ne
Galionsfigur die vorne an Schiffen dranhängt.
Mann, ich wär so gern mit dem durch den Schnee
gefahren. Wie findet ihr, schmeckt Schnee? Ich erinnere

                           56
mich nicht, das is son Ding, das weiß man nur wenn
man`s grad macht und hinterher weiß man nur, dass
man`s gewusst hat.
Oder kennt ihr das, wenn sich das Licht in den
Schneekristallen bricht? Wahnsinn sag ich euch.
Oder die Scheibe beschlagen ist, und drinnen ist es total
warm und kuschlig. Weihnachten war`s so. Oft.
Könnt ihr euch an Weihnachten ohne Schnee erinnern?
Gab`s bestimmt, aber immer wenn ich dran denke liegt
da Schnee. Oder in meiner Erinnerung hat es genau einen
Tag vor Weihnachten angefangen zu schneien, das gab`s
wirklich mal, das war total toll. Alles riecht nach
Lebkuchen und so Zeug, Zimt vor allem. Plätzchen von
meiner Oma, was würd ich für die geben. Mit
Puderzucker.
Ich hab an den Weihnachtsmann geglaubt. Steinigt mich,
ich weiß ihr wart ja alle Christkindler, aber gebt nich mir
dir Schuld ich war 7. Da hab ich erfahren, dass es keinen
Weihnachtsmann gibt. Alter, war ich sauer, heiße Tränen
mitten in der Kälte. Ich war aufs Tiefste verletzt, dass
man mich die Jahre über angelogen hat und hab die Welt
nicht verstanden. War toll. Ehrlich, ich würd die
Enttäuschung wieder durchmachen wollen. Und das
davor.
Meine Mum hat mich da immer getröstet und
Verständnis gehabt. Die hat echt immer n Gespür dafür
gehabt, wann sie trösten musste. Haben wir mit unseren
Kindern mehr Verständnis?



                            57
Egal was sie machen, wahrscheinlich. Wenn wir das bei
Fremden schaffen würden, das wär's, glaub ich.
Vielleicht läuft`s darauf hinaus, ich weiß es nicht.
Meinen Kindern werd ich auch irgendwas erzählen, vom
Weihnachtsmann oder so was. Irgendwas was mir schön
erscheint. Und wenn sie dann stinksauer sind, wenn sie
die Wahrheit erfahren, werd ich sie in den Arm nehmen
und lachen müssen. Also das heißt, wenn ich welche
haben könnte, aber in gut drei Metern hat sich das auch
erledigt.
Einmal, ich war glaub ich wegen ihr voll fertig, da hab
ich die ganzen Ferien immer die Nacht über was
gemacht, damit ich nich schlafen musste. Immer bis so
um fünf Uhr früh irgendwas gezockt an der Konsole.
War n bisschen verwirrt zu der Zeit.
Für die Story müsst ihr auch wissen, dass meine Alten
sich damals haben scheiden lassen wollen. Dann is
irgendwann mein Dad runter gekommen und hat
gemeint, ich soll ausmachen und ins Bett gehen,
irgendwie war ich total gereizt in dem Moment, weil der
Idiot in dem Spiel nich passen konnte und hab ihm gesagt
er soll sofort hoch gehen und mich in Ruhe lassen.
Daraufhin hat er mir die Konsole ausgemacht und das hat
mich wieder in die Realität geholt und da wollt ich eben
zu der Zeit nicht sein, also bin ich aufgestanden und
wollte gehn. Er fragt mich was ich mach, ich meinte ich
verzieh mich. Wollt mich aber nich gehen lassen, hab`s
geschafft mich halbwegs warm anzuziehen und wollte
raus, da hat er mich festgehalten. Is dann zu nem

                          58
richtigen Kampf ausgeartet, so n übles Ringen halt. Mein
Dad is eigentlich viel kräftiger als ich, aber ich war so
wütend, wegen mir, wegen der Welt, wegen allem und
hab wie wild um mich geschlagen. Kennt ihr das, wenn
ihr aus Wut einfach tobt? Da kann euch nix aufhalten.
Gut zehn Minuten ging das und mir ging langsam die
Kraft aus, aber irgendwann hab ich`s nach draußen
geschafft und wir sind dann in so nem Klammergriff auf
dem Schnee ausgerutscht, mein Dad halt noch im
Schlafanzug.
Ich als erster wieder hoch und weggelaufen. Bin dann in
die Stadt, mir war arschkalt. Bin dort ne Stunde
rumgetaumelt, hab irgendwas gesucht, irgend ne
Antwort, aber natürlich keine bekommen. Wäre auch
falsch, so eine bekommen zu können.
Irgendwann bin ich zurück und halberfroren zu Hause ins
Bett. Mein Dad hatte anscheinend richtig Schiss
bekommen, also so richtig markerschütternden Schiss, er
hatte die Tage schlechte Nierenwerte bekommen und
zusätzlich hat er ja echt nichts gemacht als ich abgehauen
bin. Er hat wirklich die Angst seines Lebens gehabt.
Seitdem hat niemand mehr über Scheidung gesprochen.
Schon komisch, wär alles nich so passiert, wär ich nich
manchmal so dumm, wären die jetzt tatsächlich
geschieden.
Fragt mal andere nach ihrer Kindheit.
Hab mal ne gute Freundin gefragt, an was sie sich
erinnert, als sie noch klein war. Hat mich erst voll blöd
angeguckt, dann nen Moment überlegt. Schließlich sagt

                           59
sie, wir sind früher immer rumgelaufen und haben auf
Erdhaufen gespielt. Damals gab`s noch keine Häuser in
unsrer Gegend, also nich so viele und wir haben den
ganzen Tag im Matsch gespielt. Mir fällt aber grad nich
mehr ein. Vielleicht noch meine Oma, die hab ich kaum
gekannt, aber das war`s schon.
An meinen Großvater habe ich viele Erinnerungen, ja.
soll ein sehr strikter Mann gewesen sein, sehr ernst, hatte
anscheinend ein hartes Leben und war aus Liebe sehr
strikt. Er hat sich viel gesorgt um seine Kinder.
Und um seine Enkel. Mein Opa ist der einzige Mensch,
der es mit ihr aufnehmen kann. Man, wie ich ihn gern
hab. Ich sag euch, so einen gibt`s nicht noch einmal.
Immer wenn ich im Begriff war etwas falsch zu machen,
hab ich mir gedacht, ob so ein Mensch so einen Enkel
verdient hat, und ich besserte mich.
In der Nähe von seinem Haus gab es einen kleinen See,
vielleicht auch bloß n großen Teich, ich weiß nicht mehr.
Wir sind da oft angeln gegangen, aber er hatte nicht
sonderlich viel. Wir haben eine Schnur genommen, sie
um ein Marmeladenglas gebunden und dann Brot
eingeweicht, so dass es an dem Glas kleben blieb. Dann
wirft man es in den See und wartet und die Sonne schien
und alles war so ruhig. Eigentlich waren auch noch
andere Kinder da und angelten. Jeder so wie wir. War ne
arme Gegend. Aber es hat funktioniert, man zieht schnell
an der Schnur und hat den Fisch, natürlich nur kleine
Fische, aber für mich damals, da waren das Wale.



                            60
Zuhause mussten die immer in einen Eimer voll Wasser,
hab mich nicht überreden lassen sie wegzukippen und bis
zum nächsten Morgen waren sie immer Tod.
Hab immer geweint deswegen, aber mein Opa war da. Er
war immer da. Kann sein, dass er viele Fehler gemacht
hat in seinem Leben, ich weiß es nicht, war vor meiner
Zeit, aber alle Fehler die er jemals gemacht hat, hat er aus
Liebe gemacht. Wenn ich bloß Fehler auch so begehen
könnte.
Voll beklagenswert, dass wir erst viel älter werden
müssen, um den Wert eines Opas zu würdigen.
Hab voll spät erst angefangen ihn mehrmals die Woche
anzurufen und zu plaudern. Hab auch gescherzt, gefragt
ob`s neue Mädels in der Gegend gibt und welcher er
schöne Augen gemacht hat.
Er hat zwar manchmal mitgescherzt, aber eigentlich war
er immer noch in meine Oma verknallt, ernsthaft, das
gibt's kaum noch oder?
Frischer Mittsiebziger, erste und einzige Frau. True
Story. Stimmt. Die Geschichte dazu is nich nur wahr,
sondern einfach genial.
Also, passt auf, mein Opa heißt Johann und die Familie
von meinem Opa war die Vorzeigefamilie aus dem Dorf,
totale Frühaufsteher, pflichtbewusst und so Zeug, harte
Arbeiter. Johann war der kleinste von... puh so zehn
Brüdern und zwei oder drei Schwestern... hab überhaupt
nur einen von denen kennen gelernt, voll schade
eigentlich.



                            61
Sein Vater war mit der Zeit ein reicher Mann geworden,
aber geizig. Johann liebte seine Mutter abgöttisch, soll
angeblich wunderschön und unglaublich nett gewesen
sein. Is aber früh gestorben, hat ihn hart getroffen.
Johann wollte Mathe studieren, hat aber irgendwie nich
des Geld von seinem Vater bekommen. Meine Oma hat
er schon von klein auf gekannt, haben im Dreck
zusammen gespielt, aber das hat damals jeder, er war n
bisschen älter.
Hab ihn nie gefragt, wann er sich in sie verguckt hat, aber
er grinst immer wie ein Kind wenn er davon sprechen
soll und winkt ab. Allgemein is mein Opa da sehr
anstandsvoll.
Die Sippe von meiner Großmutter hat ja auch so ihre
Geschichte. Ihr Vater, also mein Urgroßvater, war
offensichtlich viel älter als ihre Mum. War schon mal
verheiratet gewesen glaub ich, bevor er sie kennen
gelernt hatte. Aber er hat sie offensichtlich so was von
geliebt, die Leute im Dorf reden da heute noch von.
Naja und deren Familie hatte da was dagegen, dass die
zam kommen und irgendwie haben die Brüder dann
meine Urgroßmutter verprügelt und verbrennen wollen,
damit sie nix mit meinem Urgroßvater macht. Der hat
dann einem der Brüder auf die Fresse geschlagen und is
mit ihr abgehauen, wenn er des nich gemacht hätte, gäb`s
mich heute nich. Meine Oma hatte drei Schwestern und
einen Bruder. Ihre Mutter is aber auch recht früh
gestorben. Naja, zurück zu Johann.



                            62
Der wollte Mathe studieren, konnte aber nicht. Also is er
zur Armee, klar was sonst. Hat dann glaub ich ein oder
zwei Jahre nur über Briefe mit meiner Oma Kontakt
halten können. Und während der sich in irgendwelchen
Büschen vor den Ungarn versteckt hat, die dann auch
noch vorbeikommen und dann auf dich drauf pinkeln,
und er durfte sich nich bewegen damit sie ihn nicht
entdecken, hat meine Oma mit irgend nem Cousin von
meinem Opa angebandelt. Der war wohl so ne Art James
Dean der Region, ich stell mir da immer son roten Flitzer
vor, aber die gab`s da wohl nich.
Johann kommt also in Uniform, ganz adrett zurück ins
Dorf, Blumenstrauß in der Hand und bereit zu heiraten,
da tanzt die doch mit dem grad aufm Dorfball. Hat ihm
aber nix ausgemacht, er überreicht ihr die Blumen und
will sie heiraten. Sie weigerte sich.
Von meiner Oma weiß ich, dass sie ihm damals sehr
beleidigt war, dass er einfach so weggegangen ist, in die
Armee halt und sie hat auch gesagt dass sie nur deshalb
mit dem andern umeinander gelaufen ist, das glaub ich
ihr zwar auch, aber der muss wohl auch wirklich
arschgeil ausgesehen haben, also... ihr wisst was ich
meine.
Naja, zu Hause angekommen, erzählt meine Oma ihrem
Vater, dass der Johann zurück ist und sie heiraten will
und sie nicht weiß was sie sagen soll und James Dean ja
auch noch da is und der hat immerhin so nen schönen
Wagen. Wusch, mein Urgroßvater soll ihr so eine gelangt
haben, dass man das noch Häuser weiter gehört hat.

                           63
Wenn du nicht den Johann heiratest, dann schwör ich dir,
hat er gesagt, bist du das dümmste Huhn, das ich jemals
kennen gelernt hab. Kurz darauf waren sie verheiratet.
Auf dem Hochzeitsfoto, sahen die beiden Hammer aus.
Echt, auch wenn der kleine Bart von meinem Opa
wirklich wirklich komisch aus sah. Wie son Playboy.
Aber das sagen ich und mein Cousin auch oft. Da gibt's
son Bild, Johann mit dem ältesten Bruder Nikolai.
Sechzehn Jahre lagen zwischen den beiden, waren aber
angeblich ganz digge.
Naja, und auf jeden Fall lachen wir dann immer, weil
mein Opa seine Haare zurückgekämmt hatte und so n
verführerischen Gesichtsausdruck aufgelegt hatte, wir
sagen, dass er zu der Zeit so ne Art Justin Timberlake
gewesen sein muss und neben ihm dann der Panzer von
Bruder, Vin Diesel mit Haaren. Echt krasses Bild.
Zu meinem Opa gibt's noch unendlich viele Geschichten.
Wenn man fällt, da fallen einem alle ein.
Hatte ein langes Leben. Was er wohl alles erlebt hat. Ob
er große Fehler gemacht hat. Was er sich alles gefragt
hat. Ob er manchmal müde wegen ihm selbst war. Was
hast du dich alles gefragt?
Ich kann nicht fühlen was du denkst, wie kann ich
wissen, was du tust, wenn ich mit geschlossenen Augen
nach dem rätsel' was du suchst?
Wie kann ich wissen was du meinst, wie kann ich ahnen
was du willst wenn du mir nicht erzählst, was deinen
Hunger stillt?



                          64
Wie kann ich dir schenken was du willst, wenn du es
selbst nicht weißt, bist du verwirrt oder verlegen oder
,,nur schüchtern" wie es heißt?
Wie es heißt ist mir egal, ich mach mich selber auf den
Weg nach der Wahl der besten Qual, die ich dann
irgendwo versteck´.
Und du kannst suchen wo du denkst, nur finden wirst du
nichts - weil du nicht weißt wonach du suchst und dein
Verstand lässt dich im Stich. Und du fragst ,,Johann kann
es sein, dass du ständig müde bist, und ist es möglich,
dass kein Schlaf hilft und du irgendwas vermisst?"
Keine Antwort weil ich denk´, dass es keine Frage ist und
weil ich ständig müde bin, und weil ich irgendwas
vermiss.
Schließ dir Tür zu, denn nur hier in diesem Zimmer kann
es sein, was wir suchen und nicht finden. Wir schaffen es
allein.
Die Tapeten abgekratzt auf der Suche nach nem Anfang
und auf der kahlen Wand steht nur ,,suche mit Verstand."
Kann es sein dass du und ich -dass wir beide eigentlich-
unseren Kopf vergessen haben wo wir noch vor Jahren
waren. Abgeschraubt und dann verlegt, irgendwo auf
unserem Weg. Und ich kann suchen wo ich will, denn
ohne Kopf seh ich nicht viel.
Irgendwo in einem Zimmer, voll Erfahrungen und Müll,
die wir beide missen wollen, denn es war wirklich viel zu
viel. Wie kannst du wissen was ich mein, wenn ich
tagelang nichts sag ´ und nur mit geschlossenen Augen
aus diesem Zimmer starr.

                           65
,,Sag mal Johann kann es sein, dass du ständig müde bist?
Und ist es möglich, dass kein Schlaf hilft und du
irgendwas vermisst?".
Muss meinen Opa wohl sehr enttäuschen. Ob er wohl
enttäuscht ist. Nein, eigentlich würde immer Verständnis
haben für mich. Könnte ihn niemals enttäuschen, egal
was ich mache. So ein Opa wäre ich auch mal geworden.
Aber er wird weinen. Ich hab ihn zum Weinen gebracht,
bin ein schlechter Enkel.




                           66
                           Sieben

Hab jetzt voll lang über Vergangenes gelabert, is ja klar,
wenn`s in ein paar Sekunden vorbei is, gibt's auch nich
mehr so viel, das noch kommen kann. Zukunft is schon
ne komische Sache. Als man klein war, hat man in Tagen
gedacht und hin und wieder fiel mal ein ,,wenn ich groß
bin", aber drunter vorgestellt haben wir uns nichts.
Später werden aus Tagen dann Wochen, ne zuerst
Wochenenden, das war auch noch cool. Aber wenn die
Strecke länger wird, verliert man so viel hier und jetzt.
Wenn man dann groß ist, denkt man in Jahren, das ist
echt das Schlimmste.
Jahre. Wie soll man nur n bisschen ne Ahnung haben was
in Jahren passiert, aber wir alle machen uns Gedanken
drum. Jahre sind schlimm. Hab mir immer gedacht wie
toll es wär alles zu vergessen, nur um es nochmal genau
so zu erleben. Deswegen denken wir ja in Jahren, neue
Dinge holen uns zurück ins Jetzt. Weil einfach die ersten
Male fehlen, der erste Kuss, das erste Mal, wenn so was
selten ist, dann wird's heilig, aber das stumpft auch ab.
Wenn man an die Zukunft denkt, muss man oft über sich
nachdenken, klar, also über was denn sonst und wie man
wohl sein wird. Wie man sein will. Leider ist man so
müde wenn man über die Zukunft nachdenkt, oder?
Trägheit in ihrer reinsten Form, sag ich euch. Und wenn
man dann so müde is, dass man einschläft, also
übertragen mein ich das jetzt, nicht wirklich einschläft,
dann wirkt sich das auf alles aus.

                           67
Meisten brauchen wir eigentlich bloß nen kleinen
Schubser, irgendwo muss man anfangen und dann merkt
man, dass man selber und seine Gedanken ins Rollen
kommen, aber manchmal ist das nicht so einfach und von
Zeit zu Zeit fällt man ja sowieso irgendwie wieder zurück
in diesen halbwachen Zustand. Deswegen mögen wir
Leute so, die uns aufwecken können, beeinflussen und ja,
eben wach halten. Was ich schon immer mal machen
wollte? Mh. Wirklich verreisen eigentlich nicht, also
nich, weil ich bestimmte Dinge nich sehn will, aber die
meisten Leute verreisen, weil sie denken, sie müssen weg
und finden dann dort heraus, dass alles schon da ist.
Wenn man verreist, dann richtig und vor allem mit der
richtigen Person, zusammen, ansonsten ist es einfach
nicht ganz so toll.
Was ich gern mal gesehen hätte? Also grundsätzlich sind
ja warme Länder eher langweilig, so Strand und so Zeug,
soll jemand anderes machen. Chile würd ich aber voll
gern sehn, ja Chile. Wegen dem Film. Das Geisterhaus,
aber den Titel haben die Idioten voll dumm übersetzt,
weil`s eigentlich ,,House of Spirits" heißt und überhaupt
nichts mit Geistern zu tun hat. Aber die Landschaft is
voll schön und irgendwie scheint immer so ein Schleier
Violett über allem zu hängen. Island auf jedenfall, klar,
wegen ihr.
Holzfäller in Alaska werden, was sonst. Einmal Nacht in
einer Wüste erleben und Sterne sehen, wobei das am
Ozean bestimmt noch mehr sind, aber Ozeane mag ich
nich so sehr. Tief und salzig und so, und außerdem würd

                           68
ich mir in die Hosen machen, wenn ich mir vorstelle,
dass da vielleicht n Wal zehn Meter unter mir schwimmt.
Berge auch, aber da kenn ich mich nich so aus, auch
wenn ich früher oft in den Bergen unterwegs war. Bin
mal nen Abhang runtergefallen und hab mich in so
Büschen festgekrallt und hab dann hinter mir so kleine
Tannen gesehen und mir gedacht wenn ich loslasse, dann
rutsch ich in die rein und bin auch gerettet, hab aber dann
doch nich losgelassen bis die mich raufgezogen haben.
Dann sind wir noch n Stück weiter gegangen und haben
von dort gesehn, dass hinter zwei Reihen kleiner Tannen
n ziemlicher Abgrund gewartet hätte.
Rom würd ich auch gerne mal wiedersehen. War aber
viel zu verdammt heiß. Passt auf, da is mir auch son
Kack passiert. Wir sind Fußball spielen gegangen vorm
Kolosseum, fanden halt, dass des die richtige
Atmosphäre is und so. Abends und ich natürlich barfuß.
Bin arschviel gelaufen, sag ich euch, aber die Steine
waren so groß und kantig, hatte dann drei mal drei
Zentimeter große Blasen an den Füßen, die schon
aufgeschnitten waren von den Steinen und voller Dreck.
Bin nur noch gehumpelt, man war das scheiße, aber ich
hätt irgendwann meinen Enkeln erzählen können, dass
ich mir beim Fußballspielen vorm Kolosseum die Füße
blutig gespielt hab, wär ich voll stolz drauf. Enkel,
Kinder, Zukunft.
Muss man vor der eigentlich Angst haben? Also
Zukunft?



                            69
Hatte nie das Gefühl was verlieren zu können. Naja fast,
aber man sieht ja wo einen Angst hinbringt.
Es haben schon Millionen andere Menschen auf die
Reihe gebracht, also ihr Leben mein ich.
Was für Träume habt ihr? Und mit Träumen mein ich
natürlich nicht ein Abitur, ein Auto und ein Haus. Wenn
man nicht allzu oft einschläft und im Notfall jemanden
hat, der einen aufweckt, packt man auch jeden Traum,
den man hat. Is doch immer so, mit viel Geschrei
meistens, aber letztlich schafft man`s.
Ich hatte nie Zeit um mich groß über irgendwas
aufzuregen.
Hatte.
Das war auch mal anders. Aber meistens wollt ich über
alles nur lächeln und daraus was Neues machen.
Wozu heulen.
Hatte.
Tja, was soll's.
Mögt ihr eigentlich Redewendungen? Ich nicht. Floskeln
genau so wenig. Wieso zum Beispiel bestätigen
Ausnahmen die Regel? Na, wisst ihr`s? Weil die Leute
das immer sagen wenn etwas passiert, was nich in die
Regel gehört und trotzdem funktioniert, um abzuwinken
oder so. Tatsächlich is was ganz andres gemeint. Geh
nicht bei Rot über die Ampel. Geht einer trotzdem bei
Rot über die Ampel, wird er überfahren. Ergo, geh nicht
bei Rot über die Ampel, tada die Ausnahme hat die Regel
bestätigt. Sprache is schon was komisches.



                          70
Mögt ihr eigentlich Gedichte? Als ich jünger, war in der
Schule, hat mir Poesie nie gefallen, hab nie n Gedicht
auswendig gelernt. Danach erkennt man den Wert von
Lyrik, klar, Goethe und so Zeug. Hesse. Vor allem
Shakespeare aber. Liebe dich zuletzt, von wem soll`s
auch sonst stammen.
Ein Glück geliebt zu werden und lieben, Götter, welch
ein Glück und wenn dies bei mir als Irrtum sich ergibt, so
schrieb ich nie, hat nie ein Mann geliebt.
Aber das erste Mal, dass mich Poesie so richtig berührt
hat, da war ich schon älter. War kurz vorm Deutsch Abi.
Ich weiß noch, das Wetter war seit Tagen einfach perfekt
und abends war der Himmel und alles einfach so
märchenhaft, das hat jeder gesagt. Und so ne Stimmung
schwappt dann auf viele über, hat man voll gemerkt.
Dann hab ich auch noch so nen französischen Film
gesehen gehabt, war wie n Musical aufgebaut, mit leicht
melancholischen schönen Texten, hat voll dazu gepasst
und dann hab ich mein erstes Gedicht von Masha Kaléko
gelesen.
Mann, war das Hammer. Echt, obwohl n paar gesagt
haben, dass des eigentlich voll traurig ist, aber irgendwie
hab ich schon immer in den traurigsten Sachen so viel
Gutes und Glückliches herauslesen können.
Aufgepasst.
Zuweilen möchte man aus sich heraus und kann die Tür
ins Freie doch nicht finden. Dann schnüffelt man
vielleicht mal nach den Gründen und kriecht noch tiefer
in sein Schneckenhaus.

                            71
Man müsste Vieles tun. Und Manches lassen. Und kann
das eine, wie das andre nicht. Man denkt an manche
unerfüllte Pflicht. Bis sich die Dinge dann mit uns
befassen.
So vieles tut man rasch, in Acht und Bann. Mit Augen,
die geschlossen schon erblinden. Doch auch das
Schicksal hat so dann und wann, auf unsrem Konto
Unterlassungssünden.
Wisst ihr, komischerweise gefällt allen diese Stelle am
meisten, auch wenn ich sie am Anfang nich wirklich
gecheckt hab. Hab nie bereut, was ich nicht gemacht hab,
immer nur was ich gemacht hab. Hab kaum
Gelegenheiten ausgelassen, aber das is wohl auch der
falsche Weg.
Weiter.
Mitunter scheint`s, man sei nun endlich da. ­ Am Ziel,
von dem man schüchtern nur geträumt hat - Da plötzlich
merkt man, dass man was versäumt hat, ein dummes
etwas nur. Beinah... beinah.
Wenn man ein zweites Mal geboren würde, dann finge
man das Leben anders an. ­ Vielleicht, dass dann so
manches anders würde... ( Vorausgesetzt das man
vergessen kann ).
Das man vergessen kann, was man erfahren. Man horcht
sehr oft zu viel in sich herum. Am besten wär es, klug zu
sein und stumm. Man ist zuweilen alt mit zwanzig
Jahren.
Find`s einfach klasse und nicht nur das, sie hat auch noch
andere richtig tolle. Da gab`s noch ein schönes Gedicht,

                           72
von irgend so ner Norwegerin oder so, aber das fand ich
so schön, weil irgend so Filmstudenten aus der Schweiz
da n Video zu gemacht haben, was gleichzeitig mit dem
Gedicht einfach so was von genial ist. Go after her,
heißt's. Geht mal auf freikind.ch und schaut`s euch an.
Die Aussage is im Grunde, ,,to be, in meaningful ways".
Ja. Being in meaningful ways. Schön einfach gesagt, aber
darauf läuft`s letztlich hinaus, oder? Das gibt uns das
Gefühl richtig zu sein, jetzt zu sein, im Jetzt gewesen zu
sein und noch zu Etwas zu werden.
Wenn man das Gefühl hat, genau dieses, dann muss was
Richtiges an dem Zustand gewesen sein, sag ich euch.
Oh, zu Lyrik fällt mir noch was ein. Wir haben mal
Woyzeck, des Drecks Drama in der Schule gelesen, aber
weil Woyzeck so kurz is wurde das immer mit dem
Drama Leonce & Lena zusammen verkauft, auch von
Büchner, und das hat mir so was von gefallen.
Hab natürlich mal wieder alles auf meine Weise
verstanden und irgendwann kam dann zusätzlich raus,
das er alles ironisch gemeint hat, was er beschrieben hat,
was mich aber nicht gestört hat, weil ich meine
Interpretation besser fand.
Hab jetzt schon über Musik und Lyrik und sonst für`n
Kram gelabert. Über Kunst nicht. Das hätte zu Zukunft
gehört. Mit Kunst hatt ich einfach noch nicht so viel zu
tun. Sie schon. Das hätt ich gern noch gelernt. Kunst.
Vorhin, bevor ich gesprungen bin, als ich auf dem
Geländer saß halt, hab ich ne Sternschnuppe gesehn. So
viele sieht man garnicht, is mir aufgefallen. Vielleicht

                           73
vier oder fünf bis jetzt. Man merkt auch immer erst ne
Sekunde später, dass man eine gesehen hat, dann macht
man immer, hey da war ne Sternschnuppe! Und lächelt.
Würd mal gern so nen Schauer aus Sternschnuppen sehn.
Wenn ich nicht gesprungen wär, würde ich genau das
machen, wär jede Nacht draußen um eine zu sehen,
vielleicht auch nur um Wolken beim Vorbeiziehen zu
beobachten, wenn man mal grad keinen klaren Himmel
hat.
Ich würd auch bei jedem Schauer nach draußen gehn und
nackt durch die Straßen rennen. Regen is voll toll
manchmal, warmer Regen, kalter Regen, Regen mit
Wind is nich so toll, aber irgendwie hat's ja was wenn er
nicht gerade stört oder einem ins Gesicht peitscht, oder
nicht?
Ich würd auch jedes nette Mädchen ansprechen, dass ich
sehe, würde jedem Menschen sagen, dass ich ihn mag,
wenn ich ihn mag natürlich, und würde mich für kaum
etwas mehr schämen. Hab mich eh sehr selten für etwas
geschämt, dazu fehlt einfach die Zeit.
Ich würd lachen.
Und ich würd ganz viele Leute nach ihrem Leben fragen
und ehrlich zuhören. Ich würd auf mehr Konzerte und
Festivals gehen und viel öfter weg gehen, als ich das bis
jetzt schon gemacht hab. Ich würde mehr spenden.
Spendet ihr?
Wenn ich noch Zeit hätte, dann würde ich mir keine
Sorgen mehr machen, es kann so einfach sein, wisst ihr.



                           74
Des Meiste löst sich von selbst und der Rest hängt von
mir ab.
Früher hatte ich viel Angst, aber das wusste ich nicht.
Ich saß mal betrunken in der Stadt und hatte so
allgemeine, allumfassende Angst in mir, so kosmische
Angst vor Sinnlosigkeit, ihr wisst schon und hab mir
gedacht, dass ich das erst in letzter Zeit hab und
irgendwas nicht stimmt.
Ich saß da so mit einem Bein auf dem andren Knie und
genau dann hab ich gelesen was auf meinem Schuh
stand.
,,Ich habe Angst."
Hab ich mir n paar Monate zuvor betrunken auf die Seite
vom Schuh geschrieben gehabt, auch aus irgend nem
kosmischen Grund. Da wusst ich, dass alles gut ist.
Manchmal hat man halt Angst, aber wenn ich jetzt nicht
fallen würde und weiter lebe, dann hätt würde ich in
meinem ganzen Leben keine Angst mehr vor irgendetwas
haben.
Ich würde keinen Muskelkater unmassiert lassen, wie
schrecklich wenn man nicht massiert wird wenn man
einen hat. Nur dann lohnt sich`s überhaupt.
Ich würd viel mehr fluchen, vor allem wenn ich mir den
kleinen Zeh irgendwo gestoßen hab. Das is assi, gibt es
irgendwas, was mehr schmerzt, als sich den kleinen Zeh
am Türrahmen zu stoßen? Vielleicht ein Nippelpiercing.
Vielleicht würde ich dieser Kontaktanzeige antworten,
die wir mal in der Zeitung gelesen haben. Ein Satz, ganz



                          75
unten, ,,Frau mit psych. Störung, sucht Freund". Das fand
ich sehr traurig damals.
Ich würd viel zufriedener in den Spiegel schaun. Daran,
wie sich jemand im Spiegel ansieht, kann man viel
ablesen. Ich hab mich immer sehr schuldig gefühlt, wenn
ich mich im Spiegel angesehn hab. Is n komischer
Moment, sich selber zu sehen, oder? Die Gesichter von
anderen Menschen kennt man fast besser, aber man
selber ist sich manchmal so fremd.
Ihr Gesicht könnt ich tatsächlich frei Hand zeichnen,
obwohl ich richtig mies zeichnen kann.
Sogar sauber machen würd ich viel öfter und ich bin ne
richtig faule Sau was das angeht.
Aber vor allem würd ich mir bei den meisten Sachen
einfach nichts mehr denken, würd einiges viel leichter
verstehen. Is halt so. Würd ,,The Shins" hören, weil das
mit eine ihrer Lieblingsbands war und ich`s deshalb nie
angehört hab, obwohl die echt gut sind.
Ich würde versuchen herauszufinden, ob es Mondbrand
wirklich gibt. Hat mir ne Freundin von erzählt. Die is mit
ihrem Freund bei Vollmond nackt durch die Welt
gelaufen und hatte dann leichten Sonnenbrand auf ihrem
ganzen Körper. Vollmond is großartig, auch weil man
dann auch nachts alles gut sieht. Wenn sich dann ne
Wolke vorschiebt, leuchtet die um den Mond in vielen
Farben, kennt ihr das? Im Vollmond kann man ein
Kaninchen erkennen, ehrlich, oder ein Krokodil, je nach
dem, da is jeder unterschiedlich.



                           76
Nacht is einfach ne Wahnsinns Tageszeit. Is die einzige
bei der man Glühwürmchen richtig genießen kann, okay
abends vielleicht auch schon, aber nachts is das nochmal
n Stück toller. Wenn man durch so nen dunklen Wald
fährt und man kein Licht brauch, weil millionen
Glühwürmchen alles total hell machen. Ich dachte
immer, die wären an Seen und so Zeug, aber der ganze
Wald war voll damit und so hell wie bei Vollmond.
Nachts Fahrradfahren is aber allgemein richtig geil, viel
toller als am Tag. Die ganze Straße gehört mir und alles
wirkt schneller und freier. Ich streck dann immer meine
Arme von mir, so als ob ich fliegen könnte, obwohl ich
garnicht beabsichtige, dann das Gefühl zu haben fliegen
zu können, weil das bestimmt toller is, aber ich streck sie
von mir, weil es sich eben richtig anfühlt und man dann
so im Moment ist. Wind ist nachts auch viel toller.
Nachts ist einfach anders und anders kommt uns so oft so
gut vor.
Wisst ihr eigentlich warum bei so vielen Menschen, das
Leben manchmal immer wieder schief läuft? Weil sie
fordern. Weil wir fordern. Wir fordern vom Leben, dass
es gut wird. Erst wollen wir wissen, dass wir den
richtigen Weg gehen um ihn dann schließlich zu gehen,
krampfhaft wollen wir's schon vorher wissen.
Wir haben nie Vertrauen in uns und das Leben, nie gehen
wir komplett angstlos durch die Welt, aber genau das ist
es. Es ist nicht fair, erst zu fordern und sich dann
anzustrengen, es geht darum zu Vertrauen und davon zu
profitieren und wenn man nicht in der Lage ist, grundlos

                            77
zu Vertrauen, wird man auch grundlos verlieren und dann
steht man da, mit seinen vielen Fragen und weiß nicht
weiter. Es gibt keinen Grund, jemals wieder Angst zu
haben, um ehrlich zu sein, das weiß ich jetzt.




                          78
                           Acht

Manchmal hock ich da und ein bestimmter Moment hat
ein ganz besonderes Feeling, an das ich mich immer
erinnern werde. Das Feeling von Straßenlaternen, die
überwuchert sind. Das Feeling von blauem Himmel,
nachdem im Winter die Sonne ganz lange weg war und
im kalten Frühling die ersten Sonnenstrahlen alles hell
machen. Das Feeling, gedankenversunken in einer U-
Bahn zu sitzen. In einer U-Bahn kann echt viel passieren.
Da war dieses eine Mal, ich bin grad von Isabella
heimgefahren, hab ich euch schon von Isabella erzählt?
Muss ich dann noch machen. Also ich fahr heim, in der
Bahn halt und dann kommt son Straßenkünstler rein und
spielt auf seiner Ziehharmonika irgend son altes
russisches Lied, war ganz cool, hab mich echt wohl
gefühlt an dem Tag, obwohl ich eigentlich nich gerade
die größten Erwartungen hatte, und dann setzt sich son
Araber neben mich.
Bestimmt zweihunder Kilo schwer, verschobenes Gesicht
und zwei fette Narben längs auf den Unterarmen. Mit
Sprachfehler. Wir beginnen eine Unterhaltung, die erst
recht schwer in Gang kommt weil so eine Situation für
mich echt neu war und er außerdem wirklich Probleme
beim Sprechen hatte. Machmuth hatte einen schweren
Unfall gehabt, nach welchem er ziemlich lang im Koma
lag, die Ärzte hatten ihn eigentlich aufgegeben gehabt,
aber irgendwie hat er es überlebt. Natürlich alles verlernt
gehabt, sprechen, laufen und so, musste alles neu lernen.

                            79
Er hatte während der Zeit ein total schlechtes Gewissen,
weil er seiner Familie total zur Last gefallen ist. Seine
Freundin hatte ihn im Anschluss auch verlassen.
Er erzählt von dem letzten schönen Moment an den er
sich erinnert, sie waren irgendwie in der Stadt unterwegs,
war nix besonderes, aber er meint halt, dass er das noch
ganz klar vor Augen hat, während er andere Momente
total vergessen hat. Die Art wie er geredet hat, hat mich
sehr beeindruckt, weil er überhaupt nicht traurig oder
wehmütig klang, einfach so wie man jemandem erzählt
was heute beim Bäcker passiert ist. Machmuth sagt, er ist
froh darüber am Leben zu sein und dass er immer zu Gott
gebetet hat und er deshalb wieder fit geworden ist.
Halbwegs. Machmuth is zwar ausm Irak oder Pakistan,
ich weiß nicht mehr genau, aber halt Christ. Irgendwann
kommt dann halt meine Station an der ich aussteigen
muss, ich verabschiede mich und will gehen. An der Tür
ruft er mir zu, wie ich denn heiße. Ich antworte ihm. Er
sagt, er heißt Machmuth und wird für mich beten. Das
hat mir sehr gefallen, war irgendwie echt ehrlich
gemeint. Die Tür geht auf und ich gehe raus und fühle
mich besser.
Schon komisch wie alles manchmal laufen kann. Ob
Machmuth auch mal seine Dankbarkeit darauf, dass er
leben kann, vergisst und stattdessen auch irgendwie
wütend ist? Bestimmt. Warum vergessen wir Dinge die
uns wichtig sind manchmal so schnell. Neue
Gelassenheit, irgendein kleiner schöner Gedanke, der
einen weiter bringt. Warum arbeiten wir an uns, wenn

                           80
wir immer wenn wir einen Schritt in die richtige
Richtung machen, am nächsten Tag wieder alles
verlieren.
Und andere Dinge würde ich dagegen so gerne
vergessen. Nicht was ihr denkt. Aber zum Beispiel, einen
guten Film oder ein Buch. Nochmal alle Gedanken
durchleben können, dieselben Gefühle nochmal und beim
ersten Mal sind sie ehrlich gemeint und fühlen sich halt
anders an. Aber es ist doch so schade, dass wir immer
wenn wir grade ein gutes Bild von uns haben, vergessen,
wie wir grade sind und im nächsten Moment wieder total
verwirrt durch die Welt laufen. Haben wir überhaupt die
Chance weiterzukommen? Oder ist alles wichtige schon
vorhanden. Vielleicht also gar nicht so schlecht, dass wir
immer wieder vergessen ­ immer wieder alles neu.
Als ich klein war, gab es in meiner Nachbarschaft zwei
Schwestern, etwas größer als ich, die sich immer um
mich gekümmert haben. Eine hübsch und der Schwarm
von allen und die Jüngere mit geistiger Behinderung, die
aber als sie klein war noch nich so wirklich rausstach. Ich
mochte natürlich die Hübsche etwas mehr, obwohl beide
nett waren, aber die mit Behinderung hat sich halt
wirklich immer und egal wann um mich gekümmert.
Eines Tages verabrede ich mich mit der Jüngeren zum
Fischen im nahen See. In der Nacht darauf träume ich
von einer unglaublich tiefen Stimme die mir sagt, ich
darf unter keinen Umständen mit ihr Fischen gehen.
Wenn ich aufwache, erinnere ich mich noch nicht an den
Traum, aber als ich am nächsten Tag vor ihr stand, is es

                            81
mir plötzlich wieder eingefallen. Und dann beginn ich sie
voll anzuschreien, das sie weggehen soll und mich in
Ruhe lassen soll, und dass sie nicht mitdarf und sie
versteht nicht wieso, aber ich scheuch sie total böse weg.
Wir haben danach nicht mehr miteinander geredet, und
weil ich nur immer über die Sommerferien da war, haben
wir uns auch nicht mehr gesehn. Das hat mich richtig
lange verfolgt, bis ich irgendwann, unglaublich viel Zeit
danach, den Mut hatte sie doch noch zu sehn. War gut so.
Das is so ne Sache mit dem Input und Output. Das was
man mitbekommt, gibt man auch nach außen hin aus.
Wenn ich zum Beispiel viel unsinniges Zeug mach,
Konsole zocken, wenig Sport und mich nicht mehr über
den blauen Himmel freue, dann werd ich mit der Zeit
anders, echt kacke werd ich. Man übernimmt die
Einstellung irgendwie. Und man merkt es manchmal
nicht und wundert sich dann warum alles daneben läuft.
Andersrum, wenn ich es schaffe, mich wieder mit
Wichtigem zu beschäftigen, wieder sinnvolle Musik
höre, was Gutes lese, muss nicht mal besonders gehoben
sein, einfach eben nur passend, dann wird man mit der
Zeit wieder zu einer besseren Version von sich selber.
Aber das ist viel schwerer, als sich gehen zu lassen und
etwas anfangen ist zwar meistens der Ausweg, aber auch
das Schwerste. Und belohnt wird man auch erst nicht ­
aber das ist gut so.
Obwohl ich doch nicht sagen würde, dass es sich um eine
bessere Version von mir handelt. Es ist, als ob ich zwei
Gesichter habe. In Wahrheit hab ich natürlich über

                           82
Hundert, je nach Stimmung, aber im Groben habe ich
zwei. Eines, das viel grundlegender ist und Ameisen
zerquetschen will und sich oft falsch entscheidet und
nachgibt. Ich würde nicht sagen, dass es das böse Gesicht
ist, aber es ist eines, das einen einfachen Weg gehen will.
Träge wird. Gewohnheit.
Das zweite Gesicht, ist das, dass oft ein schlechtes
Gewissen hat, wegen dem was es denkt und tut, es will
immer das richtige tun, weiß aber nicht was das ist, aber
es fehlt ihm der Antrieb des ersten Gesichtes. Es ist oft
verwirrt. Manchmal, durch viel Anfangen und Anfangen
und weiter machen, kann man das Zweite irgendwie an
die Oberfläche holen und ich glaub auch, dass sind dann
die Momente in denen man sich mehr im Einklang fühlt,
und dann sind auch die Dinge die das erste Gesicht will
dem Zweiten peinlich, das ist schön. Weil meistens ist es
einem auch noch egal, wenn man Träge wird und eben
genau in den anderen Momenten nicht.
Eigentlich krieg ich alles die meiste Zeit nicht auf die
Reihe, aber das ist nich schlimm, weil es eigentlich ja
keine zwei Gesichter gibt und immer alles geht, und in
den hellen Momenten sowieso alles Vergessene wieder
auftaucht und der Sinn in der Leichtigkeit liegt. Oder
eher die Leichtigkeit im fehlenden Sinn ­ weil es nicht
mehr so wichtig ist ob ein Sinn da ist oder nicht.
Über Isabella muss ich euch noch erzählen, bevor wir
zum Ende kommen. Isabella hab ich mal im Zug kennen
gelernt und wir haben uns echt auf Anhieb verstanden.
Sie kommt aus Polen und hat Denkmalpflege studiert. Sie

                            83
ist sechs Jahre älter als ich und ich hatte wohl den besten
Sex meines Lebens mit ihr. Es ist nicht so, dass ich mehr
für sie empfinden würde, ich mag sie eben wirklich, wir
verstehen uns eben gut. Es ist komisch, wenn wir
jemanden mögen, man liegt da und sieht sich in die
Augen, tauscht bedeutungsvolle Blicke aus, in der
Hoffnung die Bedeutung würde sich von selber
einstellen. Tut sie das? Mh, ja schon, aber niemals so wie
mit ihr. Das besondere an Isabella ist aber nicht, dass wir
so nebeneinander liegen, sondern ihre Tochter Claudia.
Ja ehrlich. Claudia ist vier Jahre alt und mitunter das
hübscheste was ich gesehen hab, braune Haare, blaue
Augen. Wirklich unglaubliches Mädchen. Aber was sie
so hübsch macht, ist nicht ihr Aussehen, sondern die
Tatsache, dass ihre Mum früher für sie aufn Strich
gegangen ist. Kein Scherz, Isabella war früher Nutte. Als
sie schwanger war, is der Mann mit irgend ner Freundin
durchgebrannt und sie hat irgendwie Geld für das
Mädchen gebraucht, also ihr wisst halt. Hab dann erst
erfahren, dass viele von denen eigentlich erst aufn Strich
gehen, weil sie ein Kind bekommen haben und nicht
weiter wissen. Will nich die Frage beantworten ob das
irgendwie falsch ist und ob es nicht auch andere Wege
gegeben hätte, aber einfach nur die Tatsache, dass eine
Mutter sowas für ihr Kind macht ist irgendwie heilig.
Und es stört mich auch nicht. Mittlerweile arbeitet
Isabella als Kellnerin und es geht eigentlich so halbwegs.




                            84
Schön, wenn man jemanden so sehr liebt, dass man alles
machen würde. Das jemand einem tatsächlich die Welt
bedeutet.




                         85
                            Neun

Also. Es ist so weit. Ich fühle mich erschöpft nach so viel
Nachdenken. Über das, was Vergangenheit ist und man
sowieso nich mehr ändern kann, und darüber was noch
kommt und das sind wiederum alles bloß Gerüchte, und
natürlich darüber ob ich gerade wirklich im Moment bin
oder irgendwas falsch mache. Nach so viel Unsinn,
möchte ich einfach nur noch schlafen.
Ich bin gesprungen, eine gefühlte Ewigkeit gefallen und
komme nun unten an. Mein Kopf zerschlägt auf dem
ersten spitzen Stein, ich breche mir unteranderem das
Genick, was die ganze Sache vereinfacht. Das Wasser
fließt an mir vorbei, natürlich rot vom Blut und ich
sterbe. Es wird wieder alles heiß in meinem Kopf und ich
merke, dass alles unwiderruflich vorbei ist, für immer.
Versteht mich nicht falsch, es ist schon alles richtig so
gelaufen wie es gelaufen ist. Also nein, nicht richtig, aber
es war logisch.
Was passiert ist? Halb so wild, so ist das Leben eben, es
muss Beben geben. Manchmal behaupte ich etwas
anderes, aber im Grunde hat sie mit den meisten Dingen
die sie sagt recht. Ich habe diese Sachen alle getan und
gesagt und ich hatte auch immer die Wahl. Ich kann nicht
sagen, ich hätte etwas nicht verdient.
Ich hab's euch schon Mal erklärt, ich weiß nicht ob
Dinge aus nem besonderen Grund passieren, aber sie
passieren zumindest manchmal aus logischen Gründen,
so lief das.

                            86
Was ich gemacht hab? Dinge eben. Nicht so tragisch,
Dinge, die mir vor meinem zweiten Gesicht peinlich
wären. Sind. Und indem ich springe, kann es nur mit dem
zweiten Kopf schütteln, denn Aufgeben ist noch
peinlicher.
Indem du springst gibst du auf, klar, was nur noch mehr
zeigt, wie peinlich man sich verhalten kann, denn wenn
man aufgibt was einem die Welt bedeutet, dann kann es
ja doch nicht so gewesen sein. Folglich muss es eine
Lüge gewesen sein. Große Worte und Erwartungen
spucken, aber dann nix dahinter. War wohl alles bloß
Einbildung. Wenn man doch bloß wüsste, was man
machen könnte, selbst wenn es unmöglich scheint, aber
man würde es einfach machen, weil es einem zum Ziel
bringt, drauf los und nichts und niemand könnte einen
abhalten für seinen Sinn zu kämpfen. Aber das wäre
nicht fair. Müsste man für seinen Sinn nicht auch blind
kämpfen und vertrauen können? Ist das nicht größer, als
zu fordern? Chancenlos, aber trotzdem seinen Traum zu
vertreten gegen alles andere?




Ich sehe ein rotes Nichts und es ist aus.




                             87
Hab mal gehört man muss chancenlos warten, dann muss
man mit jemandem warten, der genauso chancenlos ist
und dann muss man noch einen Moment länger warten.




                        88
Ich warte. Warum warte ich? Ist mir nicht wichtig. Eine
Geschichte sollte immer mit Hoffnung enden. Diese ist
sogar wahr. Warum ich warte? Vielleicht weil sie mir
doch die Welt bedeutet. Deswegen war alles eine Lüge.
Wir müssen im Leben ein paar Mal Entscheidungen
treffen. Wir können es uns einfach machen, aber
meistens machen wir es uns noch schwerer. Manchmal
müssen wir unmögliche Entscheidungen treffen,
manchmal verletzt man dadurch einen Freund. Die
Entscheidungen die wir treffen, definieren uns, das ist
unsere Art uns selber zu gestalten, das ist das, was wir im
Leben beeinflussen können. Das Einzige, was wir
beeinflussen können. Manchmal tut uns eine
Entscheidung leid. Manchmal auch nicht. Egal für was
wir uns entscheiden, jeder Weg hat dasselbe Maß an
Bedeutung, denn er beeinflusst immer alles und vor allem
uns selbst. Manchmal möchte man sich entschuldigen,
manchmal auch nicht und meistens macht man immer
dieselben Fehler aufs Neue.
Es war alles eine Lüge. Also nein, nicht alles was ich
euch erzählt hab, nur eben, dass ich gesprungen bin.
Ich dachte, wenn ich es so erzähle, hat es mehr
Bedeutung und ihr hört mir zu und es wirkt halt
theatralischer, obwohl ich Theatralik eigentlich peinlich
find, aber diesmal hab ich's halt selber mal gemacht, was
soll's, steinigt mich wenn`s euch nicht gefällt.
In Wahrheit hock ich auf meiner Brücke und starre in das
Neonlicht. Bin sogar recht glücklich. Ich wünschte ihr
könnten fühlen, was ich grad fühl. Bin ziemlich gut

                            89
drauf, einfach eben deshalb. Auch weil ich keine Angst
mehr haben brauch.
Und die Stimmung is grad richtig toll. Am Ufer sind
Reste von irgend so nem Fest und es sind nur noch vier
oder fünf Leute da, vermutlicher Mitarbeiter und sie
spielen alte Beatles Songs und ich hock auf meiner
Brüstung und fühle mich wohl. Hab sogar schon ein paar
Sternschnuppen gesehen. Ganz viele Sterne und
Vollmond. Es weht ganz ganz leicht und es ist kühl, aber
noch genau so warm, dass es einfach gut ist.
Eine Frau geht an mir vorbei, sie schiebt ein Fahrrad.
Dann wirft sie es auf den Boden und setzt sich daneben.
Kurz danach kommt ein Typ und sie reden, sie scheint
ihn zu beschimpfen und schickt ihn weg und sitzt nur da
und schaut in den Vollmond.
Auf der Brücke sind so Fahnen von dem Fest gespannt
und flattert im Wind und sehen total toll aus und richtig.
Es fühlt sich alles so richtig an, so ein Moment, in dem
man einfach drin ist, in dem man einfach sein kann ohne
etwas zu tun. Ich fahre mit dem Rad nach Hause, die
Strecke die ich so oft gefahren bin, auf der ich mein
halbes Leben verbracht habe und etwa zwanzig Enten
überqueren die Straße. Sie bleiben stehn und schaun alle
in dieselbe Richtung. Als ich näher komme fliegen sie
weg. Ich fahre weiter. Eine Lampe geht aus, gleich als
ich unter ihr hindurchfahre und etwas später nochmal
genauso eine andere Lampe direkt über mir, das bringt
mich zum Lächeln. Zu Hause angekommen blick ich in
den Himmel und sehe noch eine Schnuppe. Und noch

                           90
eine und noch eine. Ich erlebe meinen ersten Schauer aus
Sternschnuppen.
Ich erzähl euch noch eine Sache. Einmal als ich bei ihr
war und gegangen bin, hatt` ich so nen Ohrwurm und den
hab ich gepfiffen. Ein Kinderlied eben, aber darauf hab
ich meinen eigenen Text gesungen und zwar wie sehr ich
sie mag. Ich gehe also raus, unter den Balkon und sperre
mein Rad auf und komme mir irgendwie total beobachtet
vor. Ich dachte ihre Eltern würden dort oben stehen und
es wäre total peinlich, jetzt diesen Text zu singen, also
hab ich bloß gepfiffen und als ich hoch gesehn hab, stand
sie da. Wie geil wär's einfach gewesen wenn ich
stattdessen einfach aus meiner Laune heraus über sie
gesungen hätte und sie mich dabei erwischt hätte.
Eine Entscheidung. Mehrere. Verändern alles. Alle
Entscheidungen, formen das, was ihr seid, was ihr
machen werdet und was nicht passiert wäre, hättet ihr sie
nicht getroffen. Ein Münzwurf als Leben, Schienen die
nach rechts und links gehen, ein Sprung oder keiner.
Entscheidet euch.
Wichtig ist mir eine Sache. Nehmt mich nich zu ernst.
Wer weiß schon, was ich morgen denk und was ich vor
allem morgen über das denke was ich heute gesagt habe.
Wenn ich mich auf was festgelegt hab, sorry Jungs,
macht das nicht. Festlegen is scheiße.
Ihr werdet Entscheidungen treffen, die euch verändern
und alles was ihr kennt. Ihr werdet alles verändern. Ihr
werdet euch richtig entscheiden, denn was ist schon
falsch, auch wenn ihr vielleicht Ecken schlagen werdet.

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Ihr werdet Chancen bekommen, immer, auch wenn alles
vorbei ist. Zeit ist relativ.
Ich hab mir grad selber eine Chance gegeben.
Aber heult nicht rum. Ja klar, lief ziemlich dumm, vor
allem mit ihr, lief aber auch ziemlich geil, vor allem
wegen ihr, also was soll`s.
Bin froh wie alles ausgehen wird, weil so wie alles war,
die Dinge eben irgendwie gelogen waren, ja, nicht
wirklich falsch, aber eben total nicht richtig. Ich hab mal
gehört, dass der Unterschied zwischen Liebe und Liebe,
der ist, dass man sich nicht hineinstürzt sondern sie erst
entdecken muss, mit Angst und Hoffnung und all dem
Kram an die Sache rangeht und ich weiß, dass ich mich
wieder machtlos und unbesiegbar fühlen werde, und das
ohne, dass ich einen Plan hätte wie.
Mit großer Wahrscheinlichkeit werde ich eine Menge
Glück benötigen, aber der Rest ist eigentlich recht
einfach und ich bin außerdem nicht gesprungen,
manchmal hat ich schon die Absicht, aber aufgeben geht
nicht. Is nich drin, auch nicht chancenlos, weil... weil...
manchmal habe ich keine Worte um das Warum zu
beschreiben.
Eigentlich immer.
Manchmal ist es nicht wichtig Warum, nur, dass man
weiß, dass es richtig ist.
Eigentlich immer.
Man wird sich nur gegenseitig retten. Gibt diese
Momente, in denen ich das Wesentliche check, dieses



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flüchtige Miststück, dann weiß ich. Und ich sehe die
Farben und ich sehe sie und muss grinsen.




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 Ich weiß nicht ob ich mit diesem Tagebuch zufrieden
   sein soll, weil ich eh immer alles irgendwann anders
  denke, aber irgendwie gehört ja jeder Gedanke zu mir
    selbst dazu, ob es mir passt oder nicht und außerdem
   wollen es noch ein paar andere Menschen lesen und so
   schlimm ist es ja auch nicht. Alles was ich sagen will,
   könnte man viel besser in dem Gefühl zusammenfassen,
   dass man hat, wenn man das perfekte Lied im perfekten 
   Moment hört.




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              Der Soundtrack des Buches

Ich weiß nicht warum mir n Soundtrack richtig erscheint,
 aber das ist nunmal so. Das erste Lied ist der eigentliche
   Titelsong würde ich sagen, aber der hat als Buchtitel
nicht so gepasst, also is es halt der Zweite geworden. Der
       Rest sind Lieder, die irgendwie in dem Buch
                  vorkommen, glaub ich.




      Nobody Knows Me at All ­ The Weepies
                 New Slang ­ The Shins
       After Hours ­ The Velvet Underground
      Sink to the Bottom ­ Fountains of Wayne
              Sag mal Johann ­ Karamel
           The Start of Something - Voxtrot
          Octopusse's Garden ­ The Beatles
                Belly Love ­ The Kooks
  The Ballade of Sir Frankie Crisp ­ George Harrison
                  Debussy ­ Arabesque
            Si la photo est bonné ­ Barbara
             Loose Lips ­ Kimya Dawson
         When I Come Around ­ Green Day
    Hard to Concentrate ­ Red Hot Chili Peppers
                  Tide is High ­ Seeed
                In my Life ­ The Beatles
           Gotta Have You ­ The Weepies



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